Dorothea Heinle – Ein Sintizia in Auschwitz / Tondokument Zeitzeugenbefragung zu Fulda im 2. Weltkrieg

Arbeitsmaterial zur Unterrichtsreihe: Unsere Heimat – Landkreis Fulda
Zeitzeugenbefragungen 2. Weltkrieg und Nachkriegszeit in Fulda

Dorothea Heinle – Ein Sintizia in Auschwitz

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Nachfolgend eine Auflistung der Kapitel und, wenn verfügbar, die gesprochenen Texte zum mitlesen.
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Vorwort

Verfolgung der Sinti und Roma

Nicht nur den Juden, sondern auch den Sinti und Roma galt die rassistische Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Vernichtungspolitik im Dritten Reich. In Fulda gab es zu Beginn des Krieges ca. 90 „Zigeuner“, wie sie damals durchgängig bezeichnet wurden. Die Polizei musste sie in umfangreichen Listen erfassen und ihnen verbieten, die Stadt zu verlassen. Am 23. März 1943 erfolgte auf Befehl Himmlers die Deportation der Sinti aus Fulda und Umgebung nach Auschwitz-Birkenau. Unter den ca. 130 Personen befand sich unsere Zeitzeugin. Sie überlebte Auschwitz und wurde im April 1945 als KZ-Sträfling im Gebiet Ostthüringen/Westsachsen von den Amerikanern befreit.

Für weitere Informationen
Günter Sagan: Fulda im 2. Weltkrieg, Fulda 2005. S. 13 ff (Schülerarbeitsheft), S. 21 (Lehrerheft)
Günter Sagan: Von Fulda nach Auschwitz und zurück. BBll 77 (2004), S. 61-63, 68.
Geschichte der Stadt Fulda, Bd. II, Fulda 2008, S. 159-163.

Eine Sintiza in Auschwitz

Stationen eines Leidensweges

Die Befragung von Frau Dorothea H. fand im Februar 2000 im Rahmen des Wahlpflichtkurses Geschichte in der Konrad-Adenauer-Schule Petersberg statt. Ergänzende Befragungen durch den Autor erfolgten am 28. Januar 2000 sowie dem 22. Oktober 2003.

Das Interview wurde von Günter Sagan durchgeführt, sowie wissenschaftlich und didaktisch aufbereitet. Die technische Unterstützung erfolgte durch das Medienzentrum Stadt- und Kreisbildstelle Fulda.

1. Als Sintizia in Fulda

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Ich bin hier in Fulda geboren und habe noch sechs Geschwister gehabt. Alle sind sie verheiratet und drei sind, also zwei sind in Auschwitz geblieben, vier sind in Auschwitz gestorben, meine Mutter ist in Auschwitz gestorben und zehn kleine Kinder außer Schwagers, Tanten und Verwandten sind alle dort geblieben. Wir sind hier von Fulda weggekommen, uns wurde gesagt, dass wir vom Rasseinstitut von Berlin arisch sind und keine – ich sag es euch ehrlich, was ich bin, ich bin ein Viertel Zigeuner – denn meine Mutter war halb Zigeuner, war aber mit einem deutschen Mann verheiratet, haben getrennt gelebt, und durch die Trennung sind wir weggekommen. Auf Gnad und Barmherzigkeit hier von unserem Gestapo. Das Rasseinstitut von Berlin hatte festgestellt gehabt, dass wir vorwiegend deutsches Blut haben, und wir werden in Fulda bleiben und kämen auch nicht weg. Wir haben das Abzeichen getragen für asozial. Wo wir aber trotzdem – was euch ein Arbeitsdienst sagen wird, ich weiß es nicht, ob ihr schon mal was gehört habt davon vielleicht – ich war ein dreiviertel Jahr im Arbeitsdienst und habe auch zeitig mit zwei Geschwistern im Rüstungsbetrieb gearbeitet. Wir haben in Weisensees die Gasmasken gemacht, Ersatzteile da davon für den Filter, und wir hatten keinerlei Veranlassung, dass wir nun annehmen mussten, wir kämen fort. Wir hatten eine Arbeitszeit von morgens sechs bis mittags zwei und von zwei bis abends zehn, es waren zwei Schichten.

2. Deportation 1943

2.1 Die Verhaftung

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Und eines Morgens wir waren um fünfe aufgestanden, waren wir gerade fertig zum Anziehen, um auf die Arbeit zu gehen. Klopft es an die Tür. Wer kommt denn da nun so früh? Und ich machte die Tür auf, und da standen zwei Männer vor mir. Dann habe ich sie gefragt, was sie wollten, was eigentlich los wäre. Da hat der eine zu uns gesagt: „Nun los, auf, seid ihr alle da?“ Sag ich: „Ja.“ – „Dann macht euch fertig, ihr kommt fort.“ Nun ja, im ersten Moment waren wir geschockt. Wir wussten ja nicht, was das zu bedeuten hatte, weil wir ja gesagt bekommen hatten vom Rasseinstitut durch ein Schreiben, dass wir nicht wegkommen. Da habe ich ihn gefragt: „Wo sollen wir denn eigentlich hinkommen?“ Und da sagte er zu uns, wir kämen nach Polen und würden dort angesiedelt werden. Da habe ich zu ihm gesagt und ich meine, ich habe acht Jahre Schule besucht und so dumm wie man uns hingestellt hat, war ich auch net und bin es auch net. Und da habe ich ihn gefragt: „Wieso wollt ihr uns in Polen ansiedeln, wenn ihr auf dem Rückmarsch seid?“ Da hatten die Deutschen wohl Polen besetzt, aber waren wieder gleichzeitig auf dem Rückmarsch. Und da hat er gesagt: „Jaja, das wird er schon erleben.“ Und da hab ich gedacht: „Ja, das wird er erleben.“ Und ich wollte zur Tür raus. Und da stoßt er mich zurück. Und da hab ich gesagt: „Ich habe dort drüben meine Schwester wohnen.“ Wir waren drei Familien dort. Die hat fünf Kinder, da ist kein Mann da. Der ihren Mann haben sie vorher schon geholt gehabt. Sag ich: „Da muss ich der wenigstens helfen, die Kinder anzuziehen.“ Das kleinste war ein halbes Jahr alt und der größte war 13. Da bin ich einfach an ihm vorbei und bin rüber. Und da guckte ich mich um, und da dachte ich: „Mein Gott, das ist doch nicht möglich.“ Da war die Siedlung rings um umstellt von SS, deutsche Soldaten, mit Zivilisten. Da stand Mann an Mann, ringsum um die ganze Siedlung. Und da hab ich gesagt: „Mein Gott im Himmel, was sind wir denn Schwerverbrecher, dass wir so geholt werden müssen?“ Ja gut, meine Mutter hat vor lauter Aufregung keine Kleider gefunden, die war fix und fertig. Naja, bis wir alle soweit waren, und dann haben sie uns in die Feuerwehrautos rein geschafft. Ich hab meiner Schwester geholfen, das Kind holen, die zitterte am ganzen Körper. Wir waren fix und fertig, die andere Frau war genauso kaputt. Naja und in die Autos rein, und da haben sie uns, wenn ihr das frühere, ich weiß nicht, ob ihrs kennt, das frühere Städtische Krankenhaus in der Florengasse oben rauf, da ist jetzt ein Altersheim drin. Da ist nebendran so ein Garten, und das haben wir früher Holzgarten genannt. [Hier steht jetzt die Heinrich-von-Bibra-Schule.]

2.2 Im Holzgarten

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Und da wurden wir alle rein getrieben, und da mussten wir jetzt warten. Und wir wussten ja net warum, warum die uns die da reingesetzt hatten. Und einer vom Wohlfahrtsamt, der Herr Maier, der hat sich um uns gekümmert, dass wir noch was zu essen gekriegt hatten. Der ging ins Krankenhaus rüber, hat uns drüben Essen geholt gehabt und hat auch von uns Geld eingesammelt, was wir so noch hatten, und hat uns Lebensmittel da dafür gekauft: Brot, Butter, Wurst oder was er sonst so gekriegt hat. Und hat das an denen verteilt, die da gewesen sind. Und da haben wir mal uns doch den Mut gepackt und gefragt: „Ja, warum sollen wir denn jetzt hier sitzen?“ – „Ja, es kommen noch mehrere.“ Und da war das so, dass welche, die wo in Frankfurt gewohnt hatten, Hanau, da die Umgebungen. Die sind alle auch eingesammelt worden, und die kamen mit dem Zug bis zum Bahnhof nach Fulda. Und wie die da oben gelandet waren, da wurden wir zusammen in Autos gesetzt, wieder in Feuerwehrautos, und sind dann rauf zum Bahnhof gebracht worden, und wurden dann auch verfrachtet in die Züge. Und wir hatten da zum Glück, das was ich Glück nennen kann, wir hatten keine Viehwaggons, sondern wir hatten reguläre Züge, die uns da transportierten.

2.3 Transport und Ankunft in Auschwitz

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Nuja, rein, Tür zu. Abgeschlossen, Fenster zu, so wie sich das gehört hat, damit keiner stiften oder fortlaufen konnte. Ringsrum war alles zu mit Polizisten und SS und all das, nur dass keiner durchgehen konnte. Nun dann sind wir von Fulda abgefahren, wie die Zeit gekommen ist. Und da sind wir auf Transport gewesen. So haben wir das genannt, weil da die ganzen zusammen waren, was gesucht worden war. Und da sind wir unterwegs, durfte man … Sind sie mal stehen geblieben, da haben wir uns mal einen Eimer Wasser holen können. Und dann sind wir in Birkenau gelandet. Da waren wir fünf Tage unterwegs, und das war genau auf meinem Geburtstag. Am 21. März bin ich ins Birkenau, ins Auschwitz eingeliefert worden. Da wurde ich 21 Jahre [22 Jahre]. So war das an meinem Geburtstag. Und da kamen uns … Aber das Lager war noch vorne, die Vorderfront war noch offen und hintenrum war schon alles zu mit Stacheldraht, also alles verkabelt mit Starkstrom. Und da kamen wir da rein. Und da kamen uns welche entgegen, und da mussten wir uns in Fünferreihen aufstellen, aber mit Fußtritte, mit Ohrfeigen, mit Schlagen und Treten und allem drum und dran. Wer nicht schnell genug stand, der bekam eine gefeuert, dass die abzählen konnten, ob wir alle da waren, so wie der Transport vonstatten ging. Und da war auf einmal eine Person mehr. Na, wo kam die jetzt her? Da ham se festgestellt, dass die nachgereist war, weil ihre Mutter fortgekommen ist. Und sie war nicht dabei gewesen. Und da hat die sich freiwillig gemeldet und ist nachgekommen, und da hat sich die Sache geklärt. Und so sind wir nach Auschwitz rein und wurden in den Baracken vorne empfangen.

3. Im Lager

3.1 Die Tätowierung – Die Baracken

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Und da mussten wir alle den linken Oberarm freimachen. Ich weiß nicht, ob ihr das sehen könnt. [Frau zeigt ihren Arm.] Und dann wurden wir tätowiert. Und das hat ein Pole gemacht, der hat das gekonnt. Da hat der wie mit so einem Federhalter, wo ihr da mit schreiben tut. Und das waren dann die laufenden Nummern, und wir waren dann schon die Nummer Z, bedeutet Zigeuner. Dann waren das 537, die schon vor uns drinne waren. Und wir waren dann so laufend, wurden dann so laufend weiter tätowiert. Die Kleinen, die Säuglinge, die habens auf den Popo gemacht kriegt oder auf den Unterschenkel, was die Halbjährigen [waren]. Unser Kleiner war ein halbes Jahr, der hat gebrüllt wie am Spieß, der hat das ganze da, die Tätowierung so. Nun dann wurden wir in den Baracken eingeteilt. Wir waren ungefähr, das waren vielleicht ungefähr 20 Baracken, die liefen im Winkel. Hier war die Straße, also was sich Straße nennt – Feldweg. Da waren die Baracken so in Reih und Glied, nebendran war frei. Und in den Baracken, da waren dreistöckige Betten drin, also gerade in dreierlei Form. Und da kamen dann so drei, vier, fünf Mann, je nachdem, wieviele da waren, wurden da eingeteilt. Durch die Mitte lief das wie so ein steinerner Ofen, der aber nicht brannte. Der konnte wohl vorne und hinten mit Feuerung gemacht werden. Aber wo Holz hernehmen oder Feuer machen? War ja unmöglich, war ja nichts da. Und keine Decke, gar nichts, nur blankes Holz auf die Pritschen. Wir haben es Pritschen genannt. So, da drauf nun da lagen wir erstmal ein paar Nächte ohne [Decken]. Bis wir dann von den Juden – die in der Zwischenzeit, das konnten wir aber von unseren Baracken aus nicht sehen, wenn die Transporte drüben reinkamen, die wurden ja dann die Hauptstraße entlang geführt, das ging ans Birkenau vorbei. Und na, vielleicht, na so 200, 300 Meter, ach, soweit war´s nicht, haben zwei Krematoriums gestanden. Wir konnten das sehen, wie die wegbrannten. Und wir wussten aber nicht, dass das Krematoriums waren, das haben wir dann später erst erfahren. Dann haben wir von den Juden, die dann zuletzt eingeliefert worden sind, haben wir dann Decken gekriegt. Damit wir dann wenigstens da liegen konnten.

3.2 Hygienische Verhältnisse

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Kein Wasser, kein Strom, blanke Erde, Knatsch, Dreck. Wenn es geregnet hat, war alles verwahrlost. Keine Toilette. Wir haben dann Kübel hingestellt bekommen, Fässer, so diese blauen Fässer habt ihr bestimmt auch schon gesehen. Und so Kübel, blaue Kübel, die haben wir dann hinten in eine Ecke zwei Stück reingestellt bekommen, da mussten wir unsre Notdurft verrichten, offen und jeder konnte da zugucken. Nun sind wir hingegangen und haben uns dann ein paar Decken genommen und haben das provisorisch so oben ein bisschen eingehängt, damit das wenigstens so geschützt war, dass net jeder so gucken konnte, der da reinging. Und wenn es natürlich zum Überlaufen war, was ja bei 300, 400 Menschen nicht anders möglich war, dann mussten die Männer sehen, wie se das raus schleifen und wo sie es hinbringen. Ja na, da haben wir jetzt acht, vierzehn Tage, drei Wochen net gewaschen, kein Wasser. Es war ja alles nichts da. Gab´s immer mal ein Kübel Tee, hingestellt kriegt und damit haben wir uns gewaschen, also wenigstens notdürftig. Das Gesicht und die Hände, Kopf waschen oder so oder mal baden, gab´s ja da gar nicht. Und SS, die war ja ständig da. Die war ja ständig … Die haben die Aufsicht gehabt mit Pistolen, mit Peitschen mit allem drum und dran versorgt. Und die haben dann auf uns aufgepasst.

3.3 Krankheiten und Läusebekämpfung

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Und da wurde meine Schwester krank. Und die von den fünf Kindern, hat auch Bauchtyphus gekriegt und die andere auch, hat auch Typhus, die starben alle beide dann. Nun hatte meine Mutter die vier Kinder, und wir waren da. Ja, wir haben geholfen, jeder hat von seinem bisschen Brot etwas abgegeben, damit wir wenigstens die Kinder durchkriegten. Und dann mit der Zeit hat sich vor jeder Halle, da waren ungefähr an jeder Seite zehn Stück, da war hinten die Halle, die war schon so voll mit Toten bis unter die Decke, dass da nichts mehr reinging. Die wurden dann weggebracht. Wo sie sie hingeschafft haben, weiß ich nicht. Na, und dann kam das größte Zirkus. Dann doch klar durch die Schweinereien, was da vorkamen. Und keine Sauberkeit, kein Waschen und nichts Ordentliches mehr, da kamen die Läuse. Da haben wir die Läusepest gehabt. Kleiderläuse und Kopfläuse. Und die kamen dann zu stark, und da wurden die Haare abgeschnitten. So wurden wir blockweise aufgerufen, also was heißt aufgerufen, Mistbiene und Drecksau und all die anderen schlimmen Ausdrücke, die waren dann da an der Tagesordnung. Und mit der Peitsche rein und geknallt und [unverständlich], dass man nur noch geflitzt ist, dass man nur noch schnell den Schlägen ausweichen konnte. Und da wurden die Haare abgeschnitten. Überall, wo se Härchen hatten, musste weg. Es ist traurig, wenn ich Ihnen das so schildern muss in dem Moment. Das mussten aber bei Männlein wie Frau mussten es die Männer machen. Wir standen auf Stühle breitbeinig, kein schöner Anblick, und die Männer mussten uns überall die Haare wegmachen. Ob alt, ob jung, egal, und dann mussten wir die ganzen Kleider, was wir hatten – wir hatten ja da noch Zivilkleider angehabt, die wir von den Juden gekriegt hatten – die mussten wir dort anziehen, damit das Lager endlich mal ein bisschen frei wurde von diese Läusepest, wo wir da hatten. Na, das ging dann einigermaßen. Es ging, wurde ein bisschen besser, weil ja dann alles – die Haar, das ganze Zeug, wurden verbrannt.

3.4 Ernährung

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Und wir mussten arbeiten, arbeiten. Und zu essen, sag Ihnen ja, eine Kelle, da ging ein Liter rein, in so ´ne Kelle. Da hatten wir so in den Fässern, die vorher beschmutzt waren von Kot und all dem Dreck, da wurde das Essen wieder rein gemacht, und das haben wir … Aber wer hätte es nicht gegessen von uns. Da haben wir dann das Gröbste erst mit Tee abgewaschen, denn Wasser hatten wir ja keins, mit Tee abgeschwaschen und wenigstens das Gröbste weggemacht, damit wir wenigstens bissl [hatten]. Aber Hunger, wie man so schön sagt, treibt Bratwürste rein. Und was da drinne in dem Essen drinne war, das konnte kein Mensch nicht erkennen, was das überhaupt war. Da haben, glaube ich, die Schweine besser gelebt. Da gab´s manchmal, manches Mal gab´s mal ein Kartoffel, aber das war nur ein Knatsch, die wurden mit der Schale mit allem drum und dran wurden die gekocht. Da war das nur so ein Knatsch. Und dann haben wir da raus in den Schüssel rein. Na gut, wir haben es gegessen, der Hunger war ja größer als wie … Ich mein, ihr seid groß genug, wenn man euch wirklich mal ein Ding erzählt, das hab ich ihm [gemeint Lehrer] auch gesagt. Da waren schwangere Frauen auch drin. War eine schwangere Frau, die hat ein Kind drin gekriegt. Und ein Kind hat die Nachgeburt gefunden. Da hat sie es sich am Feuer gebraten und hat´s gegessen. Vor Hunger, ja da waren die Kleineren, was jetzt so die bis zu elf, zehn, zwölf, dreizehn oder die die Kleineren mit sechs, sieben dort die waren ja schon alle [tot], die lagen schon auf dem Stapel drauf und wurden dann abgefahren.

Na, unsern Kleine, der mit dem halben Jahr. Normal gab´s Tagesrationen, die sind so so viereckige kleine Brote. Habt ihr vielleicht mal so ein Kommissbrot gesehen? Sind das vielleicht so hoch wie so ein Kastenkuchen, den man jetzt so backen tut in so nem Kasten. Die wurden vier Teile gemacht, da bekam jede Person ein so ein Stück, so ein Viertel da, und da drauf kamen zehn Gramm Butter, die waren vielleicht so. Und ab und zu, und das bekamen aber dann nur die so ein Schnippel Wurst, ach Gott, kleines rundes Kringelchen, so dick, die auf die Arbeit dann raus mussten.

3.5 Arbeit

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Denn wir mussten ja dann auch arbeiten, wir mussten ja unser Lager, was wir da hatten, mussten wir ja aufbauen. Da wurden die Arbeitskräftigen alle rausgezogen. Was jetzt junge Mädels waren, wir waren, ich war 21, die anderen 18, 17 und so was, die wurden dann rausgezogen. Und dann mussten wir drüben auch aus dem Lager raus mit Bewachung rüber. Da wurden so Grasplatten ausgestochen. Und an der Gefahrenzone, wo der Stacheldraht, der Draht entlang ging, der elektrische, da musste planiert werden. Da haben wir die Grasplatten dahin gemacht, aber [unverständlich] da hing mer aber schon dran und kam nicht mehr los. Und keiner hat sich ja nicht gewagt, da hin anzupacken und die da runterzureißen. Denn wenn ich in dem Moment die angepackt hab oder ein anderer, dann wären wir da auch hingekommen, auch gestorben – Starkstrom. Und da haben wir das machen müssen.

Und dann haben wir Steine suchen müssen, damit wir uns ´ne Straße, wo wir hatten, dass wir die Straße ein bisschen ausplanieren konnten. Die Männer mussten raus so in Ihrem Alter, 16-, 17- Jährige, 18 oder ältere Männer, waren verheiratet, die mussten raus. Die mussten die Steine zusammensuchen, und wir haben sie dann geholt und haben se, na vielleicht 20 Minuten, 30 Minuten vom Lager entfernt gearbeitet, und das ging 12 Stunden. Haben wir von morgens sechs bis abends sechs und die anderen mussten dann von abends sechs bis morgens sechs immer Frühschicht haben.

Ja, und da haben wir uns dann eine Baracke, haben wir dann abgeschlossen. Da haben wir eine Latrine, wie man so schön sagt, haben wir uns da notdürftig gebaut, damit dass wir da hingehen konnten. Und das war wie so eine Rinne nur, und oben drauf ein Balken, wo man sich so festhalten konnte, damit das net plumps da runten reinging, festhalten. Und da sind etliche Kinder auch reingefallen und ertrunken in dem Dreck da drinne. Die blieben da drin, die wurden auch nicht rausgeholt. Und eine Baracke hinten, die wurde zurechtgemacht, da kamen die Leichen rein.

3.6 Vor der Gaskammer

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Und so waren wir ein Jahr in Auschwitz, äh Birkenau. Und da kam auf einmal der Befehl: Alles fertig machen. Ihr kommt … Alles mitnehmen, alles mitnehmen. Tote, Lebendige, Halbtote, Kranke, alles egal, jedes mitnehmen. Da ham se uns bis nach dem Krematorium hingebracht. Da wussten wir ja, dass da hinten ein Krematorium, zwei Krematoriums waren. Eins, da war eins nebeneinander. Und da hab zu meiner Mutter gesagt, sag ich: „Mami, jetzt ist es das letzte“, sag ich. „Jetzt wird´s Schluss für uns sein.“ Und da ham die uns hinten beim Krematorium hingebracht. Und da standen wir vorne dran. Und da hat es geheißen: „Ausziehen!“ Und wir waren am Ausziehen, in dem Moment kommt ein SS- Mann gesprungen und sagt:
„Nein, aufhören, sofort zurück. Die Zigeuner werden net vergast.“ Ja, und dann haben wir unser Bündel und haben unser ganzes Zeug wieder mitgenommen, sind wieder zurück ins Lager. So ging es zweimal, dass wir kurz davor standen und wieder abgerufen wurden von Berlin aus. So waren wir dann dort gewesen. Und wir mussten arbeiten mit Hieben.

3.7 Im Stehbunker

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Ich hab drei Tage Stehbunker mitgemacht. Und weil ich noch die Zivilkleider, die haben mir hinten am Rücken entlang, mit roter Farbe sind wir so gekennzeichnet worden, hinten runter am Rücken, damit sie uns sehen, weil ja die Kleider Zivilkleider sind, hätten sonst nicht aufgefallen, weil ja keine Sträflingssachen da noch net hatten. Da wurden da so rote Farbstreifen runtergemacht, und meiner war schon ziemlich verblasst. Da hat mich ein SS Mann erwischt, und hat er gesagt: „Gell, das hast du doch mit Lippenstift nachgemacht.“ Doch wo sollte ich denn den Lippenstift herkriegen, dass ich sowas machen könnte? Und da sagte er: „Nee, nee, auf [komm mit]!“ Da sind wir mit vier Mädels eingesperrt worden, 50 mal 50 [cm] in einem Bunker. Da war unten bloß so eine kleine Klappe, dass man gerad so reinkriechen konnte. Da haben wir mit vier Mann Kopf, Körper an Körper die ganze Nacht drin gestanden. Und den anderen Tag drauf mussten wir wieder raus zur Arbeit. Und na, dann haben wir auch mal Wasser gekriegt und so, das kam dann auch mal so in der Zwischenzeit. Und da hab ich dann, haben wir drei Nächte lang, hab ich in dem Bunker drin zugebracht. Und morgens dann auf die Arbeit. Mehr umgefallen, als wie sonst was. Und wenn du umgefallen bist, da hast du oben drauf noch ´ne Wuchte gekriegt. Und da standen wir dann dort drinne die drei Tage. Dann waren wir ein ganzes Jahr, war ich dann dort in Birkenwald, Birkenau.

4. Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie

4.1 Von Auschwitz nach Ravensbrück

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Von Birkenau hieß es auf einmal, es wird ein Transport zusammengestellt, wir werden, äh kommen fort. Wir sollen hier zu Bauern kommen in der Landwirtschaft. Und da hab ich zu meiner Mutter, sag ich, weil wir die einzigen noch, wo bei uns war, hab ich gesagt: „Mama, das ist ´ne Bauernfängerei, die wollen uns bloß woanders hinschaffen.“ Sag ich: „Ich bleib hier.“ Sagt sie: „Nein, Kind, geh du mal, Du kannst uns vielleicht draußen besser helfen als wie hier drinne.“ Und das Ende vom Lied kam. Wir wurden zusammengesteckt mit etliche hunderte Männlein wie Weiblein alle in Viehwaggons, sind wir nach Ravensbrück gekommen. Die Männer wurden unterwegs abgehängt. Sind wir in anderen Lager. Da waren wir vier Wochen zur Entlausung und wegen Typhus wegen Ansteckungsgefahr und so der gleichen waren wir dort vier Wochen. Und von dort aus sind wir dann nach Schlieben gekommen.

4.2 Panzerfaustfabrik Schlieben

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Meine Schwester und ich nach Schlieben. Und da haben wir in einer Munitionsfabrik arbeiten müssen, und zwar war das mitten im Wald, da wurde die Panzerfaust hergestellt. Kennt einer von euch eine Panzerfaust? Die haben wir gemacht. Da wurde das Pulver, das war so körnig. Da mussten wir immer so Treppen mit so Zentnersäcken, so Treppen hoch. Und oben waren so Kessel. Da wurde das rein gegossen und unten kam es flüssig raus, lief das. Auf einem Band lief die Panzerfaust, wo die Pulver, das Pulver drinnen war. Das lief dann da rein und lief dann auf dem Band weiter, und wir saßen da Reihe. Also da unten drunter musste man aufpassen, dass das net überläuft, das in die Panzerfaust. Und dann wurden sie da drüben abgeholt. Und ´ne andere hat ´ne Tasse in die Hand gehabt, die musste dann diese Reste, weil das Pulver sich ja absetzen tut. Das musste dann immer noch nachgefüllt werden. Dann haben wir dort ungefähr vier Monate, fünf Monate, und wir kamen mit der Produktion nicht nach, weil wir zu schwach waren, wir waren ja alle ausgezehrt. Wir hatten ja nichts mehr auf den Knochen, wir hatten ja nichts mehr drauf. Zu fressen gab´s, zu fressen haben wir gesagt, gab´s ja nichts auch. Das Stückchen Brot und die Teller Suppe! Manches Mal, da kam se vor lauter Ekel, kam se halt wieder raus, wie das so geht, und da hat der Magen nichts mehr angenommen. Und dann die Hiebe und das, da wurdeste halb tot geschlagen und mussteste trotzdem weiterarbeiten.

4.3 In den HASAG-Werken Altenburg

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Und da hat es auf einmal gehießen, also wir kämen, wir könnten das nicht mehr leisten, wir kämen von dort aus weg und kämen nach Altenburg in Thüringen. Da waren die berühmten HASAG-Werke. Und dort hin sind Judenmänner hingekommen, in der Munitionsfabrik, wo wir da gearbeitet hatten. Dann haben sie das Lager dort in die Luft gesprengt. Und wir sind nach Altenburg gekommen in Thüringen. Da wurde für die Flakgeschütze die Abschusshülsen da gemacht, die da in dene Gurte reinkamen. Da mussten wir diese Schießdinger da für die Flak-Abwehr, wurde da so Granaten und so Zeug gebaut. Und da hat noch ein Mädel sich den Finger abgestanzt da drinne, weil wir so Stanzen hatten, die die Sachen da machten. Zum Erklären ist das zu schlecht. Und da haben wir die Abwehrgeschütze da gemacht gehabt. Nun das ging ganz gut, nur wussten wir ja nicht, wie es nun weitergeht von draußen. Wir haben von draußen ja keinerlei Nachrichten mal rein gekriegt oder dass wir eine Verbindung hätten. Und in der Zwischenzeit in dem Lager haben wir dann Frauen gekriegt. Die waren besonders gut, mit großen dressierten Hunden, mit Peitschen in der Hand. Und die waren hundertprozentig schlimmer wie die Männer. Bei den SS-Männern waren etliche doch dabei, die einem ein bisschen human behandeln konnten und auch taten, was bei den SS-Frauen haben sie kein Erbarmen gekriegt. Da hat es nicht gehießen, du kannst nicht oder du willst nicht oder das geht nicht. Gab´s nicht! Da hieß es nur: „Du Mistbiene“, oder sonst die schönsten Ausdrücke. Und da gab´s etwas mit der Peitsche, oder sie hetzten den Hund auf dich. Da bist du gern weg und bist gern gesprungen und hast deine Arbeit gemacht, und wenn du auf allen Vieren gekrochen bist.

Nun, da hatte ich an meinem Arbeitsplatz, hatte ich einen Deutschen, der mir erst die Arbeit eingewiesen hatte. Der musste mir ja das erst erklären, wie das gemacht wird, denn ich konnte ja nicht einfach mich da hinstellen und sollte da nun Granaten und Abschießdinger da machen und hatte von Tuten und Blasen keine Ahnung. Und da hat der mir das aufgeklärt. Und dann wurde ich mit dem Mann ein bissl warm. Also mein Name ist öfters mal gesprochen, getraut mit ihm zu reden. Wir haben dann immer schon einen langen Hals gemacht, wenn wir wussten, die Alte ist ganz da hinten, die sieht uns jetzt nicht oder die kommt erstmal da hinten durch. Und da hab ich ihn mal gefragt, ob er mir mal das Vorderblatt von der Zeitung mitbringen könnte. Och, er hat sich erst gewehrt mit Händen und Füßen, na klar Angst, dass er dann auch dort hin landet, wo wir sind. Er hat ja das Elend gesehen. Und da hat er gesagt: „Mädchen“, sagt er, „ich traue mich net.“ Sag ich: „Mensch, stell dich net so an. Stecks doch in Schlüpfer rein oder in die Strümpfe. Aber Strümpfe hatten wir ja keine, aber die Schlüpfer rein, oder irgendwo hin, dass er es nicht finden tut.“ Da sagte er: „Ich probiere es.“ – „Nur das Vorderblatt, wo der Wehrmachtsbericht draufsteht, mehr will ich ja nicht.“ Und da hat er das immer so fein zusammengeknuddelt und hat´s dann irgendwie auf den Platz gesteckt und hat mir dann, und ich hab mir dann da was zu tun gemacht und hab mir dann das Blatt genommen und hab dann die Aufseherin gefragt, ob wir mal auf Toilette könnten. Sie ging mit, sie stand vor der Tür, also oben, und da ging´s immer runter in Keller unten. Und da hab ich das einzige, was ich gemacht hab erst einmal schnell mein Blatt gelesen. Und da war der Ami ist da und da, der Ami ist so und so weit schon. Und da hab ich es ganz klein zerfetzt, Toilette rein, abgespült, dann hab ich so gemacht, als wenn ich den Schlüpfer hochziehen würde und bin dann raus. Da hat er mir jeden zweiten, dritten Tag je nachdem, wie er konnte, hat er mir so ein Blatt Papier gebracht. Bis ich dann auf einmal lesen konnte, der Ami ist nicht mehr weit von Fulda. Haben wir doch gedacht, alleweile wird es doch leichter für uns. Da hatten wir aber dann Sträflingskleider angehabt.

5. Evakuierungsmarsch

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Und der Lagerführer, wo wir haben, das war der größte Schweinehund, der existiert hat. Der hat mit einem Ochsenziemer hat der immer, wenn er uns wecken wollte oder wenn irgendetwas war oder durch die Kolonne durch, wenn die nicht schnell genug stand oder die standen nicht in Fünferreihen, so wie er es sich gewünscht hat oder wie er das wollte, da schlug der mit dem Ochsenziemer da rein. Da gab´s manche Flecken und mancher brach zusammen, waren doch nur noch Haut und Knochen. Es war ja nichts an diesen Menschen, an uns allen. Und danach sind wir weg. Und auf einmal hat es gehießen: „Auf, macht euch fertig, wir gehen fort.“ Da war der, dieser feige Hund, er war der erste, der sich, wie er geheißen hat, der Ami ist noch ein paar Kilometer von uns entfernt, hat er sich gleich im Schrank versteckt. Da war er der erste, der verschwunden war, denn wenn wir ihn da schon gekriegt hätten, und die hätten gewusst, was los war, ich glaube, die hätten den umgebracht, so war das ein Schwein. Ja, da sind wir abends sind wir marschiert. Unterwegs wir haben die Koffer getragen von den Madamen mit ihren Hunden und mit dene SS-Männer bis zum nächsten Dorf. Wir sollten aber von dort aus von dem nächsten Dorf stand oben im Wald die SS und hat auf uns gewartet, dass sie uns noch abschießen sollen, dass sie uns noch alle umbringen sollen. Aber durch das, weil ich durch Zufall das gehört hatte, wie die eine zu dem andern sagte: „Wir müssen uns ein bisschen beeilen, die warten da oben auf uns.“ Und da dachte ich, da stimmt doch wieder was nicht. Und da haben wir uns im Dorf unten aufm Markplatz hingeschmissen und sind keinen Schritt mehr weitergegangen. Und da hat der Bürgermeister händeringend gesagt, wir sollen doch hier weg, wir sollen oben am Wald uns verstecken, denn da unten, wenn die Amis jetzt ankämen und würden den Auflauf da sehen, da würden die annehmen, es wären Soldaten und die würden dann nach uns hier runter schießen oder was bombardieren oder machen. Nun ja, haben wir es eingesehen, und da sind wir von da unten weg und sind oben im Wald. Und da sind wir in eine Flakstellung rein geraten, da sind wir noch besser [dran gewesen].