Josef Albinger – Pfarrer Josef Albinger im KZ Dachau / Tondokument Zeitzeugenbefragung zu Fulda im 2. Weltkrieg

Arbeitsmaterial zur Unterrichtsreihe: Unsere Heimat – Landkreis Fulda
Zeitzeugenbefragungen 2. Weltkrieg und Nachkriegszeit in Fulda

Josef Albinger – Pfarrer Josef Albinger im KZ Dachau

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Nachfolgend eine Auflistung der Kapitel und, wenn verfügbar, die gesprochenen Texte zum mitlesen.
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Vorwort

Pfarrer Josef Albinger im KZ Dachau

Josef Albinger wurde am 20. Dezember 1911 in Ellers (Neuhof) geboren. Nach seiner Volksschulzeit in Neuhof besuchte er ab 1926 die Staatliche Aufbauschule (Winfriedschule) in Fulda, an der er 1931 das Abitur ablegte. Anschließend trat er ins Priesterseminar Fulda ein. Seine Priesterweihe erfolgte nach dem Abschluss seiner Studien 1936. Ab 1937 wirkte er als Kaplan in Poppenhausen, ab dem 19. März 1940 in Hanau, nach Kriegsende bis 1947 in Marburg, anschließend als Domkaplan in Fulda. 1950 nahm er seinen priesterlichen Dienst als Pfarrer in Poppenhausen auf, den er dort bis 1982 ausübte. 1967 wurde er zum Dech anten des Dekanats Weyhers ernannt, 1972 zum Monsignore. Er starb am 26. Oktober 1995.

Zu Beginn des Jahres 1941 erhielt der Kaplan wegen einer Marienpredigt eine erste Vorladung von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo). Acht Monate später kam es am 7. November 1941 in die Kaplanei in Hanau zu einer Hausdurchsuchung, am nächsten Tag erfolgte Albingers Verhaftung. Der Geistliche hatte die regimekritischen Predigten des Bischofs von Münster, Clemens August von Galen, gesammelt und einem Schüler geliehen, der sie in Frankfurt anderen zeigte. Ein Lehrer erstattete daraufhin Anzeige.

Auf Grund eines Schutzhaftbefehls, den die Gestapo eigenständig gegen politisch Missliebige erlassen konnte, hielt man Kaplan Albinger bis Anfang Februar 1942 im Frankfurter Gestapo-Gefängnis fest. Hier erhielt er „strenge Einzelhaft“ und erfuhr „scharfe Repressalien und Misshandlungen“. Der Befehl, er war in seinen Grundzügen in Frankfurt vorformuliert worden, erhielt im Reichssicherheitshauptamt folgenden Wortlaut:

„Albinger hat durch Verbreitung von Schriften staatsfeindlichen Inhalts den Zusammenhalt der Heimat zu untergraben versucht. Bei Freilassung ist zu befürchten, dass er sein volksschädigendes Verhalten fortsetzen werde, um dadurch den Wehrwillen des deutschen Volkes zu beeinträchtigen.

gez. Heydrich, Berlin und Thorn, Frankfurt.“

Am 5. Februar erfolgte sein Transport nach Dachau, am folgenden Tag die Aufnahme im KZ.

Zur weiteren Information:

Sagan, Günter: Pfarrer Josef Albinger im KZ Dachau. BBll. (heimatgeschichtliche Beilage der Fuldaer Zeitung) 1/85, S. 1 ff. (04.01.2012)
Opfermann, Bernhard: Das Bistum Fulda in Dritten Reich. Fulda 1987, S. 36 f.
Schick, Elmar: Stationen der Machtübernahme. Die NSDAP im Fuldaer Land. Fulda 2002, S. 596 f.

Pfarrer Josef Albinger im KZ Dachau

Die Befragung von Josef Albinger fand unter Beteiligung einiger Schüler des Wahlpflichtkurses Geschichte der Konrad-Adenauer-Schule Petersberg am 26. August 1986 in Poppenhausen, Kreis Fulda statt.

Das Interview wurde von Günter Sagan durchgeführt, sowie wissenschaftlich und didaktisch aufbereitet. Die technische Unterstützung erfolgte durch das Medienzentrum Stadt- und Kreisbildstelle Fulda.

1. Geschichte des Lagers Dachau

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Das Lager Dachau wurde ´33 gegründet. Und das Lager Dachau ist so das Vorbild für alle übrigen Lager. Nun gab es 22 Hauptlager in Deutschland, 22. Aber jedes Hauptlager hat Nebenlager gehabt. Ihr habt ja das Bild hier. Da seht ihr dick drein geschrieben Dachau und rund drum sind aber auch kleine Lager, ne. So fuhren also morgens, hier ist also genau, welches Arbeitskommando formiert. Da fuhren, sagen wir 1000 Mann fort nach Allach, da wurden Lokomotiven renoviert, nicht. Andere, die fuhren nach Friedrichshafen, die machten Flugzeuge. Andere gingen in Schneidereien und in Metallbau und dann in eine Großschlachterei in Dachau, sind überall hin. Da wurde, da haben die gearbeitet. Und das waren alles Nebenlager. Aber Dachau, das war das Hauptlager, das Herz. Nach diesem Lager sind alle Lager aufgebaut, ob die in Frankreich waren oder in Polen. Und alle, die in irgendein andres Lager kamen, die waren erst in Dachau. Die hatten in Dachau die Technik gelernt, wie man die Leute kaputt macht. Die kamen erst nach Dachau. So kennen wir also den Höß von Dachau – Auschwitz! Habt ihr gehört, den Namen? Der Massenmörder, nicht wahr. Die waren alle in Dachau. Und nun, das wussten wir. Sie werden fragen, wo wisst denn ihr das her? Da wurden oft Leute bestellt. Sagen wir, da kommt ein Transport mit tausend Häftlingen. Wo kommt ihr denn her? Von Majdanek und Auschwitz. Gut, jetzt mussten die aufgeschrieben werden. Da waren wir deutschen Pfarrer recht, nicht. Da wurden wir, wir konnten schnell schreiben, mussten wir Personalien aufschreiben. Haben die natürlich, wenn die Luft rein war, ausgefragt. „Wo kommst du denn her? Wie ist denn das bei euch? Wer ist denn da Schutzhaftlagerführer? Wie gut er denn ist? Ist es wie hier, nicht?“ Haben das genau gewusst. Sie werden vielleicht sagen, die waren jahrelang eingesperrt, die haben doch gar nicht gewusst, was draußen war. Wir haben viel mehr gewusst, wie das, was die Leute draußen wussten.

2. Ankunft im Lager

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Als ich ins Lager gekommen bin, das war abends um elf Uhr, nicht. Da haben sie uns da rein getreten und da musste ich da auf eine Pritsche rauf kriechen. Da oben hab ich dann geschlafen. Aber ich hab nur Schnarchen gehört, und am andern Morgen hab ich kein Wort verstanden. Das waren lauter Polen, nicht. Und dann hab ich ihn lateinisch gefragt, einen, nicht, ob er katholischer Pfarrer ist. Ahh ja. Dann war´s gut. Dann hat er mir gesagt, auch lateinisch, ich möchte runtergehen und mich dann anziehen. Hat mein Bett fertig gemacht. Denn der Bettbau, da haben viele ihr Leben dabei lassen müssen. Da musste die Kante ganz gerade sein. Das musste alles eben sein, ne, und so weiter und so weiter. Wenn das nicht war, dann der Betreffende, der da gelegen hat, der wurde totgeschmissen für so ein Blödsinn. Ist doch wurscht, ob das Bett gerade ist, oder nicht, ne. Sauber muss es sein, richtig schön, nicht.

Aber nun, was soll da schön sein bei diesem … Das war furchtbar. Und am andern Morgen, wo wir antreten mussten, wir wurden dreimal am Tag gezählt. Morgens, mittags und abends. Damit keiner abgehauen ist. Und an jenem Morgen hab ich tatsächlich dagestanden und hab gedacht: Diabolo! Wirklich, alles durcheinander. Es wurde gebrüllt. Die haben gebrüllt, die SS, die hat draufgehauen und die Kapos haben geschrien, wo angetreten werden muss. Arbeitskommandos formiert, nicht wahr. Und da haben die Bayern noch geflucht. Kreuzzugssakrament nochmal bist´n Furzer, diese österreichisch-bayerischen Fluchwörter. Es war furchtbar. Da stand ich da, ich wusste nicht, was ich machen sollte. Verlassen, und ein Menschentrubel, der wild geworden ist, die aufeinander losgehen, und keiner tut dem andern was und brüllen in allen Sprachen. Man hat ja selten ein deutsches Wort gehört, nicht wahr. Es waren ja meist Ausländer. So kann man also alle Sprachen, nicht, aber nicht gut. Was lernt man denn immer in Sprachen zuerst?
Das Fluchen, das Fluchen. Am Tag wurde viel geflucht, nicht. [Polnische Fluchwörter], diese Wörter mein ich damit. Das sind schlimme Wörter.

3. Die Aufnahme

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Man wird, wenn man ein paar Tage im Lager ist, auf dem Zugangsblock, wird man da eines Tages dem Schutzhaftlagerführer vorgestellt. Ich sagte schon, das war zu meiner Zeit der Block sieben. Und da fragt mich der Stubenälteste, das war ein Kommunist von Hamburg. Aber ein guter Kerl, nicht. Der hatte also die Frau hier tätowiert, nackt von vorne und da von hinten und hier noch andre Dinge und so. Und der sagt: „Du“, der mochte mich wahrscheinlich gerne, nicht. Da sagt er: „Du hör mal, warum bist denn du da? Was steht denn auf deinem Schutzhaftbefehl?“ Da sagte ich, was man mir gesagt hatte, nicht. Da sagt er: „Mensch“, sagt er, „wenn du das dem sagst, da kommst du nicht mehr her. Da kommst du nicht mehr her zu mir“, sagt er. „Da bist du weg vom Fenster.“ Da sag ich: „Wieso, was macht denn der?“ – „Der schlägt dich tot. Da wirst du regelrecht nachher totgeschlagen, wenn du das dem erzählst, warum du hier bist.“

Also ich hatte im Schutzhaftlagerbefehl stehen, nicht wahr: Er muss in Schutzhaft genommen werden, da im Falle seines Freiseins, er weiterhin sein Amt missbraucht für die Schwächung des Wehrwillens unseres Volkes. – Das war es. „Wenn du das dem sagst, da gehst du kaputt bei.“

Da sagte ich: „Ja, was soll ich denn sagen?“ – „So, pass auf. Wenn der dich fragt, da sagst du: Wegen Defätismus des Staates.“ Und jetzt, können Sie sich das vorstellen, gesagt ist das leicht. Aber was sich abgespielt hat. Mit mir wurden ungefähr vorgestellt noch 700 Häftlinge, die alle, die meisten waren bei der Brigade Internationale Spanien, also Spanienkämpfer. Dort, wo unser Ju 52 geflogen hat, das sind diese Brüder gewesen, nicht. Und wenn die dran kamen. Bei welcher Waffe warst du? Bei der schweren Waffe. Die haben die totgeschlagen. Die haben aus allen Löchern geblutet, nicht. Ich denke, wenn der jetzt zu mir kommt, hab tief Luft geholt und hab gesagt: „29171 wegen Defätismus des Staates.“

Ein Schüler: Was ist Defätismus?

Defätismus? Beschädigung, defacere heißt kaputtmachen, runterwirtschaften, etwas schädigen, jetzt hab ich es gut gesagt, nicht. Etwas schädigen, etwas beschädigen, also ich soll den Wehrwillen des Volkes beschädigt haben. Wodurch? Das gibt der zur Antwort, der hört sich das an, das Verschen, was ich eben gesagt habe. Da sagt er: „Du bist ein Saupfaff, gelt.“ Sag ich: „Nein, ich bin katholischer Priester.“

„Du hast zu laut gesungen, wie?“ Da ging er weiter, ging zum anderen. Der hat mich nicht geschlagen. Kannste dir vorstellen? Ich bin also da gut durchgekommen, durch die [unverständlich]. Wo ich heimkam, da kommt der gleich zu mir und sagt: „Was hast du gemacht?“ –„ Ich hab das gesagt, was du gesagt hast, ging glatt über die Bühne.“ Siehst du, da muss der eine dem andern helfen. Der hat vorher gefragt. Ich hätt´ ja dann das dort ehrlich gesagt, nicht, was dort draufstand. Aber dann hätt´ ich mir das Leben schwer gemacht. So war das auch. Und so Dinge, die vergisst man auch nicht so leicht.

4. Erster Gang durch das Lager

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Und als ich nach Dachau kam, dann bin ich eines Morgens – ich musste jetzt in Quarantäne – um 5 Uhr auch ausgebrochen aus meinem Block und bin mal dorthin gegangen, wo die wohnten. Die Pfarrer wohnten alle auf Block 26. Es gab also 30 Blocks. 1,2 bis 30. Ich wohnte [später] auf Block 26. Da wohnten die katholischen Pfarrer. Auf Block 28 und 30, da wohnten die polnischen Pfarrer. Das waren die meisten. Wir waren 3000 katholische Pfarrer dort, 3000. Ist ein Junge von euch evangelisch? Also evangelische Pfarrer waren lange nicht so viele da. Lang nicht so viele, ich glaube 50. Das war eben so, die evangelische Kirche ist mehr Landeskirche, da hat der bestimmt der „ Cuius Reges“, wem das Land gehört, der bestimmt auch die Religion im Mittelalter. Das ist noch ein bisschen fortgelaufen, dass das auch in unserer Zeit im Dritten Reich noch gemacht wurde. Und da waren viele evangelische Pfarrer, die waren Mitglied auch von NSDAP. Denn kein einziger katholischer [Pfarrer] – hast du das verstanden? Ja. Ist nicht gehässig, das ist halt so, sind geschichtliche Tatsachen, nicht wahr. Bis die Bekennende Kirche kam. Und die Bekennende Kirche, die waren dann gegen den Adolf Hitler. Und die waren auch in Dachau, die anderen nicht.

Ich bin früh aus dem Block rausgegangen – im Quarantäneblock, das war damals Block 7 – war streng verboten, um Gottes Willen, wenn mich ein SS-Mann gesehen hätte, hätte mich totgeschmissen. Da bin ich zu den Pfarrern gegangen. Und da steht ein Pfarrer – so ein dürrer.

Und da steht der da, und der steht in der Tür drin, und da sage ich dem: „Ich bin noch auf dem Zugangsblock“, sagte ich. Und blieb man so 4-6 Wochen, damit man nicht andere Krankheiten mir reinbrachte, damit hing das zusammen. Und da sagte ich: „Ich bin auch katholischer Pfarrer.“ Und da fragte er: „Wo bischt de här?“ Was ist das für ein Mann, wenn man das hört: Wo bischt de här? – Freiburg. Freiburg, Schwarzwald. So sprechen die. Wo bischt de här. Und da fragt der mich: „Wo bischt de här?“ Und da sag ich: „Von Fulda.“ – „Es ist gut, dass du gekommen bist“, sagt er. „Der letzte von euch ist grad gestern durch den Kamin gegangen.“ Das war der Trageser. Hast du verstanden? Nicht, Kamin geht, die wurde ja alle verbrannt. Und dieser süßliche Geruch von Menschenfleisch, wenn das brennt und wenn das dann bei einem Tiefdruckgebiet wie heute über dem Lager liegt, das ist schrecklich. Kann man nachts nicht schlafen. Kannst du dir das vorstellen? Dieser Geruch, dieses verbrannte Fleisch ständig, furchtbar war das. Und die Öfen, die gingen ja Tag und Nacht.

5. Block 26 – Der Pfarrerblock

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Ja, so war das. So haben wir da also gehaust, in einem Raum, wo vielleicht 40 reinpassen, da waren 400 drin, nicht. Alles konzentriert, nicht. Alles konzentriert. Wenn man zum Beispiel dort wollte sein Fresstrog holen. Wer niemals aus dem Blechnapf fraß. Habt ihr den Film gesehen, zufällig? Nee? Das ist das, nicht. Da rief man über die ganze Masse weg und sagt: „Du, Otto, bring mir doch mal mein Fressnapf mit dem einen Löffel.“ Mehr hatten wir ja nicht, nicht. Und dann nahm der das mit und schmiss das über die ganze Mannschaft weg, und dann muss man es fangen, und dann gab einem der das. Also, es war viel Kameradschaft. Der eine hat dem andren geholfen. Es war ein ungeschriebenes Gesetz. Einer hat dem anderen geholfen, bis zum Letzten.

So bin ich also dabei gewesen, als der Guardian [Hausoberer] vom Kloster Frauenberg gestorben ist, war ich dabei. Als der Pfarrer gestorben ist aus dem Eichsfeld, Gustav Vogt, war ich dabei.

Und einer hat dem anderem geholfen. Und weil es in Fulda war, war ich ja zuerst gerufen, nicht wahr, um mich um die Fuldaer zu kümmern. Ich bin der Einzigste der noch lebt, der noch rausgekommen ist. Ich hatte das Glück auch mal einen zu sehen von den Brüdern, die da drin waren.

6. Lagerleben

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Es gab im Lager Dachau keine Menschen, keine Namen. Man rief also nicht Schmidt, Müller, oder so, nicht wahr, sondern es gab nur Nummern. Und meine Nummer war 29171. Das war meine originale Nummer gewesen von Dachau. Die hab ich dort getragen. Die Nummer ist von denen gemacht, sehen sie. Und dann gab es Winkel. Das ist der rote Winkel, den hatte ich. Deshalb, politische Häftlinge, die wurden eingesperrt ohne ein Prozessverfahren. Dass die, sagen wir, draußen was gemacht haben, die wurden verurteilt mit zwei Jahren Zuchthaus, und dann wurden sie frei, dann wurden die aber nicht frei. So und die kamen dann ins Konzentrationslager. Und die hatten andre Winkel. So gab es also grüne Winkel, schwarze Winkel, rosarote Winkel, dann rote Winkel mit einem Balken drüber, die schon zum zweiten Mal da waren. Dann gab es, wenn einer von der Wehrmacht kam, der hatte die Spitze nach oben, da war der Winkel genau umgedreht. Kannst du dir das vorstellen? Oben die Breitseite war unten, nicht. Da merkt man, dass das einer von der Wehrmacht ist.

Interviewer: Wir haben auch mal drüber gesprochen.

Über diese Winkel? – Ja.

Also wer zum Beispiel von euch im Kogon, das Buch „Der SS-Staat“ liest, der hat die Metaphysik des Lagers praktisch drin im Kasten. Da sind die Winkel alle auch aufgeführt, beim Kogon.

So das war also, der Kittel. Da hatten wir eine Hose gehabt. Ne Hose, hat man hier neben am Bein die Nummer gehabt. Ja, das war wichtig. Wenn einer starb und man hatte keine Uniform, da hat man dem die Uniform ausgezogen, nicht. Und dann wusste man, wenn der noch die Hose an. Der hat die Nummer hier, dann wusste man, wer das war. Können Sie sich das vorstellen? Man hatte keine Kleider.

Ich lag einmal [unverständlich] im Revier lag, da lagen drei über mir. Und ich lag in der Mitte in der zweiten Etage, da und da und drei unten. Und die sind in der Nacht alle gestorben, nur ich lebte noch. Ich lag also eine Nacht unter lauter Toten. Und am andern Tag, hab ich gedacht, aber jetzt gilt´s, da kamen die rein, das Leichenkommando, hat die runter gerissen. Das hat Schläge getan. Einfach runter geschmissen, nicht. Runter gestoßen, hoch, runter, nicht. Und dann hab ich mir schnell zwei Decken von den andern auf mich gezogen. Ich hab nur eine Decke gekriegt, und jetzt hatte ich drei. Ich musste also nicht mehr so viel frieren. Wenn man Apparate hätte, würden wir dann fotografieren und der Mutter geben, nicht wahr. Dann hätte die wenigstens ein vernünftiges Bild vom Dritten Reich. So jetzt habt ihr es gesehen.

Ein Schüler: Was hatte man da noch drunter?

Nur so ein Hemd, so ein zerrissenes Hemd. Das ist mehr Holz als Tuch, nicht. Da sind auch noch so ganze Holzsplitter drin.

Ein Schüler: Hat man das Sommer wie Winter angehabt?

Sommer wie Winter, ja. Aber man hat das bei der Arbeit oft ausgezogen, nicht. Aber da hatte man ein Hemd, das passte natürlich keinem. Wenn ein Hemd war, sagen wir für ihn, das passt ja mir nicht, gell. Was blieb dann ja vorne so zu, das hat man halt getragen. Da hat man nicht nach geguckt, nicht. All diese Dinge, die waren dann nicht mehr da, dass man sagt, ich will mich ja auch schön anziehen.

Nun werden sie vielleicht fragen, wie haben sie denn die Uniform rausbekommen? Das ist auch wichtig, nicht. Es war ja gar nicht möglich an sich. Das war so: Als der Krieg zu Ende ging und die ersten Artilleriegeschosse pfiffen über das Lager. Das heißt die Amerikaner waren ganz nahe, da hat man 140 Pfarrer entlassen, katholische und evangelische. Die hat man einfach entlassen, wissen heut noch nicht warum. Wir haben das nicht rausgekriegt bis jetzt. Wir können es nur ahnen warum. Und da wurden 140 entlassen, da waren also auch Generäle dabei und Bischöfe, Bischof von Clermont-Ferrand, nicht wahr. Das war jeden Tag – wurden vielleicht so zehn entlassen.

Da ist immer SS dabei, da ist keiner allein. Du bist im Lager nie allein. Nicht mal auf dem Lokus. Da sitzen 20 auf Donnerbalken, nicht wahr, und vor jedem stehen 10 und sagen: Mensch, eil dich doch ein bisschen, zum Donnerwetter nochmal, ich mach in die Hos´, nicht. Das gab´s doch da, ist doch natürlich. Wie beim Kommiss auch, net. Und warst nie allein. Immer warst du kontrolliert. Immer unfrei. Immer mit Massen zusammen. Der Dichter sagt schon: Hart stoßen sich die Dinge im Raum, nicht. Und das ist hier Wirklichkeit gewesen. Da hat man sich oft wehgetan, ohne dass man sich wehtun wollte. Das geht nicht, dass man in einem Raum 400 Menschen reintut, wo nur 40 reinpassen, nicht. Die stehen alle da, Mann an Mann und glotzen sich an. Und man wird einfach primitiv. Nun konnte man im Lager nicht unterscheiden, ob ein russischer Pimpf dabei war, so in eurem Alter, nicht wahr, oder ein Professor, oder Domprediger von Notre Dame de Paris, von Paris der bedeutende Prediger, der weltbekannt ist, oder ein Bischof oder Niemöller. War ja auch da, ist ein Evangelischer jetzt mal, von eurer Sorte. Jetzt konnte man da nicht entscheiden – unterscheiden. Da waren alle gleich, nicht. Denk einmal, alle Leute sind so angezogen, wie ihr es jetzt gesehen habt. Und haben die Haare alle ab, die schönen Locken und die, wir ihr habt, habe die net gehabt, haben wir nicht mehr gehabt. Alles abgeschnitten, ganz kahl. So kahl wie beim Friseur, wie heute da die …

Ein Schüler: Die Skinheads.

Richtig. Die da rumlaufen, nicht, die Brüder. Ah, ihr kennt die. Ich kenn es aber auch.

7. Besondere Erlebnisse

7.1 Besondere Erlebnisse I – Krankheit und Hinrichtung

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Interviewer: Herr Albinger, können Sie noch mal aus dem Lager so eindrucksvolle Erlebnisse … die sie besonders beeindruckt haben …

Ja, da gab es sehr viele. Also hab dreimal die Krankensalbung bekommen im Lager. Ich war also sehr schwer krank, ich hatte Typhus. Was der Typhus da tobte, das war schrecklich. Dann starben die vielen Leute. Das war 42. Ich lag sieben Monate auf der Pritsche, nicht. Kein Mensch hat nach mir geschaut. Ja, das war schrecklich. Und immer im Delirium, hatte immer 40 Fieber. Weil Typhus ist ja eine Gehirnkrankheit. Ja, und da hatte ich doch schon sehr starke Erlebnisse, die mir heute noch innerlich nahe gehen. Oder bei der – bei Messerschmitt, nicht. Dann eines Tages da geht die Sirene, da müssen wir alle antreten. Da haben sie einen aufgehängt, einen [Galgen]-Baum hingestellt und aufgehängt von uns, nicht. Und der hat direkt neben mir gearbeitet. Und das ging mir schon sehr nahe, weil ich den Jungen gut kannte. Sein letztes Wort war, nicht wahr: „Ich heiße Iwan Schupokow, bin aus Moskau, verheiratet, ich habe drei Kinder.“ Das war sein letztes: „Auf Wiedersehen, Kameraden.“ Dann haben sie ihn in die Schlinge reingerissen. Das geht mir schon sehr nahe. Da stand ich so wie wir zwei direkt vis-a-vis. Das ging mir sehr nahe. Und wenn so einer tot geschossen wurde, ach du lieber Gott. Und das war so sinnlos, so grundlos, so nur aus reiner, aus so einem Sadismus. Ihr wisst, was ein Sadist ist, nicht. Und das waren alles Sadisten. Die waren da drauf gedrillt worden, keine Miene zu verziehen, brutal.

7.2 Besondere Erlebnisse II – Vergasungen in Hartheim

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Genau. In Hartheim wurden doch die Kinder, die krank waren und auch die Häftlinge von Dachau vergast. Ich hab auch was in die Zeitung geschrieben, nicht wahr, von Hartheim. Und auch über 300 katholische Pfarrer vergast – auch ein evangelischer war dabei in Hartheim. Und äh –

Interviewer: Das war in der Nähe von Dachau?

Nein, das war bei Linz in Österreich, wo das Konzentrationslager Mauthausen ist. Bei Mauthausen.

Interviewer: Die wurden dorthin überstellt?

Mit großen Bussen wurden die dorthin gefahren. Sage mer in jedem Bus 60 Leute drin. Fünfmal sechs sind schon 300, nicht. Und die wurden an einem Tag dort vergast und verbrannt. Und da hatte ich doch schon sehr starke Erlebnisse. Und das ist mir schon sehr nahe gegangen, als die geholt wurden, hatte ich gerade Tordienst. Das heißt, der Block der katholischen und evangelischen Pfarrer, der war noch mal abgeschlossen mit einer großen Tür und mit Draht bespannt. Da musste einer Posten stehen, damit ja kein anderer da rein lief zu den Pfarrern. Wir galten als sehr gefährlich für die – wir waren also sehr explosiv, die hatten Angst vor uns. Und da hatte ich Tordienst. Da denk ich, was ist denn das jetzt, was machen denn die? Kamen plötzlich, sagen wir mal so zehn SS-Leute an und holten dann Pfarrer. Rufen die auf mit der Nummer, alle mit Nummer, die müssen stimmen. Noch einmal durchgecheckt, das alles stimmt, alles und dann los, abmarschieren, nicht. Wo die an mir vorbeigehen, ich kannte die ja, ich kannte ja die Pfarrer alle, da hab ich denen zugerufen: „Ave Caesar, morituri te salutant“ – sei gegrüßt, Kaiser, dich grüßen jetzt die jetzt sterben müssen. Die wurden alle verbrannt, das waren sie. Die 300 habe ich zuletzt gesehen. Weil ich gerade Tordienst hatte.

7.3 Alpträume

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Und so Erlebnisse gehen mir doch nächtelang nahe, und was Psychologisches. Ihr werdet sagen, das ist doch 40 Jahre her. Denkst du noch manchmal da dran? Und ich geb mir Mühe, nicht dran zu denken. Aber nachts träume ich davon und immer so etwas Brutales, wo ich jemand aufhänge oder schrecklich, also irgendeine schreckliche Situation, die dann vorkommt. Das geht einem doch noch irgendwie vor, manchmal.

7.4 Besondere Erlebnisse III – Phlegmoneversuche

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Oder ich war, als ich 42 so krank war, dass ich nicht mehr gehen konnte, da war im Lager noch einmal ein Pferch abgesperrt. Und da lagen all die drin, die da sterben müssen. Und ich war dabei. Und da hatte ich auch Diarrhö, Durchfall. Und da musst´ ich auf Block 27 gehen. Bin ich aber nicht hingegangen. Ich durfte ja nicht raus aus dem Zwinger. Aber ich bin raus gegangen. Mir hat eine innere Stimme gesagt, geh nicht dorthin, da steckst du dich noch mehr an. Ich bin rausgegangen, über die Blockstraße weggegangen, über die Lagerstraße – die ist breit – ja ich bin also über die Lagerstraße rüber gelaufen auf meinen Block 26 – die geraden Zahlen waren links, die ungeraden rechts, wie das auch bei uns in den Straßen ist. Da bin ich auf unseren Lokus gegangen. Und als ich dort da sitz, hinter der Türe – ich hatte mich so, wenn die Tür, wenn die auf ist, jetzt dahin in die Ecke gesetzt – und in dem Augenblick kommen die alle mit Fahrrädern an die SS und besetzen alle Blöcke. Dass keiner da raus kann und keiner rein kann. Junge, ich sitze da drauf auf so´n Donnerbalken. Könnt ihr euch das vorstellen? Und der SS-Mann geht vor dem Lokus auf und ab draußen. Können Sie sich das vorstellen? Mir ist das Blut bald dick geworden. Die 10 Minuten sind mir zur Ewigkeit geworden. Hätte der mich entdeckt, dass ich hier, und der geht hier dauernd auf und ab, da draußen, könnt ihr euch das vorstellen? Er hätte mich in der kurzen Zeit angezeigt. Ich hätt´ damals mein Leben verloren. So nun geh ich wieder, als die weg waren, und dann geh ich wieder rüber spring rüber, wieder über die Lagerstraße und geh wieder in den Zwinger rein. Wo ich reinkomm, sagen die – und das war der Grund, warum der Bär brummt. Das ist ja hier in der Gegend, das heißt, es passiert etwas Außergewöhnliches: Und da kam der Dr. Hintermayer, das ist der Arzt, der die Versuche machte, nicht. Und der ist dort rein gegangen, ging´s los. Alle katholischen Pfarrer antreten. Und da hat er die Nummer aufgeschrieben von denen. Am Mittag sagt ich: „Was ist denn los jetzt?“ – „Du pass auf, wir werden geholt.“ Die sind alle geholt worden. Alle genommen worden zu Phlegmone-Versuchen. Ich weiß nicht, ob ihr wisst, was Phlegmone ist? Da wird man eingespritzt, dann bricht das auf, das ganze Bein ist nur ein Fleisch. Jetzt wurde versucht, das zu heilen. Das wurde gemacht. Dazu wurden die gebraucht. Da sind 700 polnische Pfarrer damit bei totgegangen bei diesen Versuchen. Mindestens, ja. Und da habe ich mir gesagt – und damit bin lange nicht fertig geworden – alle müssen diese Versuche mitmachen, viele sind gestorben, und ich hatte was Falsches getan, und ich lebe. Ich war nicht dabei. Können Sie sich das vorstellen? Das geht mir heute noch nahe. Manchmal.

7.5 Besondere Erlebnisse IV – Der Tod Pater Guardians

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Den man gut kannte. Man konnte nicht helfen, nicht. Durfte man machen, was man wollte, was man hatte, nicht. Wir kriegten im Monat einmal einen Löffel Marmelade. Ich sehe heute noch den Guardian vom Kloster Frauenberg, dem habe ich – wohnen Sie in Fulda?

Interviewer: In Marbach

Ach, in Marbach. Hab ich dem noch meinen Löffel Marmelade gegeben. Ich denk mir, ein bisschen Zucker, na vielleicht, es ging nicht mehr. Der war verhungert. Der ist regelrecht verhungert. Der Bischof von der, der Guardian vom Kloster Frauenberg.

8. Feuchte Rippenfellentzündung

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Krank war ich auch. Ich sagte schon Typhus, 22. Januar bis September. Mitte September lag ich also auf der Pritsche. Dann kriegte ich Rippenfell – Lungenentzündung, oh, das war schlimm. Dann kriegte ich Rippenfellentzündung, da hatte ich Wasser in den Rippen. Das Herz schlug bei mir hier und dann muss das Wasser rauskommen. Ich konnte doch nicht ins Revier gehen, da wurde man noch abgespritzt, nicht. Dann so ´ne Phenolspritze, und dann war man tot. Da konnte ich also nicht hingehen. Ich wusste aber nicht recht, was ich hatte. Ich hatte aber immer nur Fieber so 39 herum. Und da hab ich mir lauter Ärzte geholt, aber Häftlinge so wie ich. Der erste war ein Arzt von Heilbronn. Die haben mich alle untersucht und hab dem gesagt: „Ich habe dauernd erhöhte Temperatur, so bis 39, aber ich kann nichts essen.“ Da hat er mich untersucht. Jetzt kam – elf hab ich gefragt – da kamen verschiedene Meinungen raus. Der eine sagte: „Also, du hast vereiterte Rippenfellentzündung.“ Da wurde Rippenresektion gemacht. Da kriegte man so vier Zentimeter zwei Rippen raus gesägt. Oh je, das wird ja schlimm. Der andere sagt: „Du hast Rippenfellentzündung, aber trockene, das ist nicht feucht.“ Der andere sagt: „Du hast überhaupt keine Rippenfellentzündung, du hast Lungentuberkulose.“ Ich habe alle elf aufgeschrieben. Und da haben sich mehrere in dieser Feststellung: Er hat Rippenfellentzündung exsudativ. Flüssig heißt das, flüssig. Und da hab ich den Ali, der war im Revier, war ein polnischer Chirurg, sag ich: „Wie kriegen wir das Wasser raus? Kannst du mir bei mir mal raus machen?“ – „Im Revier geht nicht, die laufen dann dazu“, sagt er, „der hängt uns beide hin. Das geht nicht. Aber ich weiß einen“, sagt er, „im Lager, der hat so ´ne Nadel, der könnte das machen, nicht. Aber du musst ihm ein Stück Brot geben, sonst macht er das nicht.“ Es ging alles ums Leben nur, ein Stückchen Brot, heute werfen´s weg, die Kinder. Ich wohne neben der Schule, ich sammel es manchmal ein. Ich hab das mal eingesammelt und hab einen großen Eimer mit Brot dann vor jede Schule gestellt, damit die Lehrer das mal sehen, was die wegwerfen, nur beim Wegfahren hier. Oh je, denk ich, wie mach ich denn das. Sagt er: „Ich schick dir den mal hin, ich kenne den gut“, sagt er, „ ich schick dir den mal hin.“ Das war von Block 2, also ein Kommunist war das. Und da kommt der und sagt: „Willst du das machen?“ – „Ja, das mache ich“, sagt er. „Musst mir aber ein Stück Brot geben.“ Sag ich: „Hab ich schon dabei.“ Sage ich: „Du kriegst die ganze [unverständlich] Brot.“ Und da hat er es gemacht. Jetzt ging das folgendermaßen vor sich: Ich wurde also, den haben wir reingelassen in einen Block, wo ansteckende Krankheiten sind. Da ging kein SS-Mann hin. Waren wir also absolut sicher. Und dann ist der gekommen. Und dann habe ich folgendes: Musste ich mich auf so einen Hocker setzen. Das war so selbst zusammengehauenes Holz. Und da musste ich die Hände – hier stand ein Russe, der hat meine Beine zusammengemacht mit seinen Beinen – ich musste ihm die Hände um den Kopf legen – ein anderer Russe hat hinten die Hände gehalten, dass ich die nicht auseinanderkriegt plötzlich – und ein anderer saß hinter mir der hat mich hier gehalten. Ich war also geknebelt. Na, wie man so ein Schwein schlachtet, so einen Eber, geht so ähnlich zu. Und jetzt kam der Kauz. Und da hat er hier erst gestochen, und davon hat er hier in der Tasche gehabt, das hat er hier rausgeholt. Wenn heute das gemacht wird, oft, ich erzähl es oft den Ärzten, wenn so was, ach, das also betäubt und 20fach fein eingespritzt, das betäubt und alles steril und nichts angefasst und abgekocht und ach, du lieber Gott [unverständlich]. Jetzt geht es los und rupp. Und kommt gegen die eine Rippe, sticht direkt gegen die Rippe. „Mensch“, sag ich, „bist du denn verrückt?“ Ich konnte nichts machen. Die hatten mich ja gefesselt. Sag ich: „Bist du überhaupt Doktor?“ – „Nee“, sagt er, „ich bin Fleischer und Metzger von Oberbayern.“ Um Gottes Willen denk ich, der macht mich kaputt. Fleischer und Metzger von Oberbayern. Das steht oft da unten auf den Metzgereien. Bei uns heißt es Metzger. Und dann, dann hat er den Finger genommen und hat den zwischen die Rippen so ein bisschen gedrückt, dass ein bisschen mehr Luft war ja, und dann pff – das höre ich heute noch, wie das da rein geht – eben war er drin. Das war sofort eine Erleichterung. Ich habe gemerkt, wie das Herz sich wieder hier rüber zieht. Und im medizinischen Vademecum, da steht also drin, man darf höchstens einen Liter Exotat Wasser raus lassen. Der hat gleich fünf Liter raus gelassen bei mir. Und das kann zum Tode führen. Bei mir ist es aber nicht zum Tod geführt. Ich wurde aber nach zwei Liter bewusstlos, das ist normal, da wird man ja bewusstlos. Und da war ich, wie der liebe Gott mich geschaffen hat, auf der Blockstraße jetzt da vor Block 5, wo wir es gemacht haben. Hat sich kein Mensch um mich gekümmert. Die sagen, der springt schon wieder hoch, wenn der zu sich kommt. Ist auch so gewesen. Gleich hatte ich wieder Hunger, und es war gut. Aber was der Kauz gesprochen hat, als er da drin war. Das Wasser floss da raus, da sagte er: „Das Wasser rauscht, das Wasser schwoll, ein Knabe sitzt daran.“ Habt ihr schon gelernt in der Schule? Mussten wir noch auswendig lernen früher. Und dann sagte er: „Hast Glück gehabt.“ Sag ich: „Warum denn?“ – „Es ist nicht eitrig“, sagt er, „man braucht keine Resektion zu machen“, sagt er. Ich brauch die Rippen nicht raus gesägt zu kriegen. „Es ist noch klares Wasser, es ist noch kein Eiter dabei. Du hast Glück gehabt.“ Das hat der gemacht. So ist das gewesen. Wenn ich das heute jemand erzähle, das glaubt keiner, ist aber so gewesen. Dann hat er seine Nadel wieder ausgeblasen, hat sie wieder eingesteckt und mitgenommen. Wenn die gewusst hätten, da die Leitung im Revier, dass der so eine Nadel hat. Ich habe ihn nicht gefragt, ich durfte nicht [unverständlich], der hat die auch geklaut irgendwo. Im Revier irgendwo hat der die geklaut. Wer hat so ein Ding? Hat ja keiner dran gedacht, so etwas mitzunehmen. Ja, das beeindruckt mich doch schon manchmal so Dinge sehr, oder wenn Leute gestorben sind, nicht.

9. Besoldungsstelle der Waffen-SS

9.1 Die Arbeit

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Und da haben wir an Schreibtischen arbeiten müssen. Wie könnt ihr so eine Dummheit machen? Die haben 140 Pfarrer haben die [in] die Besoldungsstelle der Waffen-SS gelassen. Das war der Punkt, wo man eine Spionage treiben konnte, die gar nicht anders möglich war. Wir wussten, wie viele Verluste hatten die, was haben die noch für Waffen, wie viele haben sie erschossen usw. usw. Leute, die wir oft noch kannten als Blockführer in Dachau. Plötzlich einmal bekomm ich ein Dings in die Hand, da hat also eine Kiste Wein in Königsberg gestohlen und hat sie in der katholischen Kirche hinter die Orgel gestellt, und das ist aufgeflogen. Die haben den Kauz erschossen. Den kannt ich noch von Dachau, den Blockführer da, den Oberstabführer, und mehr war der nicht. Ja, die haben uns also da rein gelassen. Und z.B. als das rückwärts ging, und dann haben die SS rausgegeben, wir werden das packen, wir machen das. Und da haben sie damals, wo mein Bruder auch gewesen, in Orel und Kursk in den Städten in Russland, da waren die Russen durchgebrochen, das wollten die zurückwerfen. Da ist die SS regelrecht abgeschlachtet worden. Die sind zusammengehauen worden wie das dürre Holz. Haben sie einen großen Teil ihrer Waffen verloren. Das kriegen wir jetzt alles rein. Wir kriegten die Toten rein. Wir wussten ja, wie viel die jetzt Verluste hatten. Die wurden ja nicht mehr besoldet, kriegten ja kein Geld mehr. Das hatten wir alles in der Hand.

9.2 Brief-/Geldanweisung nach Poppenhausen

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Interviewer: Waren Sie also auf der Besoldungsstelle tätig da?

Ja, da war ich tätig. Ich habe also ein Beispiel. Ich kann das erzählen, ich darf nur keine Namen nennen. Ein Junge von Hanau, ein anderer von Poppenhausen – ich war schon mal Kaplan in Poppenhausen zwei Jahre gleich am Anfang, der hat geheiratet und wenn die geheiratet haben, dann kriegten die …

Interviewer: Die waren also bei der Waffen-SS?

Bei der Waffen-SS, ja. Die kriegten vom Lebensborn einen gewissen Betrag. Und mein Kopf-Vordruck, mein Kennzeichen, das hieß HALB ohne Punkt. H=Häftling, ALB=Albinger, ja. Da wusste jeder, das hat Albinger geschrieben, HALB. Und jetzt hat der sich furchtbar dumm angestellt hier in Poppenhausen, und da musste ich dem ein Konto errichten. Das hab ich getan in Gersfeld auf der Kreissparkasse. Von Dachau aus. Und da kriegte er die Mitteilung dann, wir haben von hier aus ein Konto errichtet, weil unsere Besoldungsstelle, nicht wahr, auf Adrema – Hollerith eingestellt ist und Einzelbeträge in Geld nicht auswirft, sondern geht nur über Bank. Gut. Und dann hab ich gedacht, jetzt will ich mal was probieren. Er musste die Briefe, musste unterschreiben, ein Hauptsturmführer – Heiber hieß der, Heiber, Heiber, war ein guter Kerl, aber man konnte ihn nicht durchschauen, er ließ nicht viel mit sich reden. Und dann hab ich gedacht, ich will – die kriegten 50 Mark, alle – ich will mal was versuchen. Und da hab ich den Akt mitgenommen von denen und hab gesagt: „Der stammt aus der Rhön“, sag ich, „ein armes Gebiet“, sag ich. „Sie kennen doch den Helmuth-Plan?“ Helmuth, das war ein Zahnarzt von Würzburg, der hat die ganzen Arbeitslager in der Rhön errichtet. Helmuth-Plan, der war bekannt. Das war seine Leistung hier. „Und das ist eine ganz arme Gegend“, sag ich, „da wächst doch nichts und so. Ich mein, 50 Mark wären ein bisschen wenig.“ Ich sag: „Was würden Sie denn vorschlagen?“ Sag ich: „300.“ Da macht daneben 300. Da hat er von mir 300 Mark gekriegt. Alle andern haben 50 gekriegt. Dann eines Tages heiratet sein Onkel hier. Inzwischen war ich Pfarrer geworden hier. Können Sie sich das vorstellen? –Mitdenken! Vor dem Krieg war ich Kaplan, im Krieg Kaplan hier, und nach dem Krieg war ich hier Pfarrer geworden. Und da hat der geheiratet. Und da denk ich, die sind sicherlich alle heute auf der Hochzeit. Und da muss der Junge, der müsste jetzt so alt sein. Und da hab ich sie alle mit Handschlag begrüßt. Ich hatte aber schon einen im Blick, der hat so blondes Haar gehabt wie du. Denk ich, ach, das könnt der sein, das könnt der sein. Hab ich den mit Handschlag begrüßt. Sag ich: „Wie heißt du denn?“ Sagt seinen Namen. „Dein Vornamen, wie heißt du mit Vornamen?“ Stimmte alles. „Ach“, sag ich so. Das ist er, dem hab ich 300 Mark geschafft. Aber jetzt als der Brief fertig war und der war unterschrieben, und da hab ich gewartet bis ein Untersturmführer unterschrieb – der hieß Munz – der war so dumm, mit dem hätt´ man, der wusste gar nicht, was er unterschrieben hat. Und dann kriegte ich den Brief wieder, dann habe ich, nachdem er ihn unterschrieben hat, den Brief noch mal fein eingespannt und hab HALB jetzt hab ich „inger“ noch drangeschrieben, verstehen Sie. Jetzt hieß das unten HALBinger. Da mussten die doch wissen, das kann doch nur unser Kaplan sein, der frühere Kaplan. Die sind nicht dahinter gekommen. Dann hab ich den Brief geschickt.

9.3 Brief nach Münster

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Oder eine andere Sache. Wie mächtig unterschrieb also einer von Münster in Westfalen: „Sie haben mir am letzten Lohnzettel 17,20 Mark abgezogen“ – ich weiß den Betrag nicht, aber mehr war das ja nicht – , „verbiete mir das ganz energisch. Ich hab für den ganzen katholischen Schwindel nichts übrig, bezahl keine Kirchensteuer, trete aus diesem Klub“, so ähnlich in diesen Tönen. Ich krieg den Brief. Den Brief habe ich fertig gemacht. Habe ich folgendermaßen geschrieben: „Sollten Sie noch einmal einen solchen Ton anschlagen gegen die hiesige Dienststelle, dann werden wir Ihren Brief urschriftlich weiterleiten an das Führerhauptquartier. Wir teilen Ihnen hiermit verbindlich mit, Sie haben da unsere, das müssen Sie wissen, Sie wissen, dass unsere Dienststelle auf Adrema-Hollerith eingestellt ist und Einzelbeträge nicht auswirft. Sie werden hiermit angewiesen, Ihre Kirchensteuer umgehend zu bezahlen.“ Mit „Heil Hitler“. Habe ich dem Munz vorgelegt, unterschrieben, das hat er hingekriegt. Der hat bald in die Hose gemacht. Dass es so was gibt, wo bin ich denn jetzt hingeraten? Der hat erwartet, die loben mich, was ich für ein Kerl bin. Und jetzt kommt so ein Brief zurück. Aber da hab ich Albinger oben weggelassen gehabt. Wenn ich im Ernstfall sagen, ich hab den Brief überhaupt nicht geschrieben. So was machen wir doch hier gar nicht.

10. Besuch des Bruders

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Es wurden also da die Briefe geheim raus befördert und auch rein befördert und auch rein. Bei der Weihe, da ham se es gesehen. Ich hab’s euch erklärt, nicht. Und so habe ich – nachdem ich Besuch hatte – das alles fertig gemacht, habe ich hier von der Hose den oberen Bund hier aufgerissen. Kannst du dir das vorstellen? Die Hose ist nicht so schön gewesen wie meine jetzt, wo ich nicht stolz bin. Ich habe eine Tugend, ich bin nicht stolz. Dann hatte ich das aufgerissen und hatte da so ein Röllchen gemacht, und hatte das hier drin stecken. Jetzt kommt der Besuch. Werden geführt in eine Baracke. Da ist dort ein SS-Mann und da ein SS-Mann, hier ein SS-Mann. Wir zwei sitzen da wie zwei arme Sünder. Gott noch mal, habe ich gedacht, wie kriege ich denn die an einen Punkt? Ja, wenn ich den im Visier hatte, vielleicht den noch, aber den hinten hatte ich nicht, ich kann nicht gucken nach hinten, nach allen Seiten. Ich konnte da nichts machen, ich kriegte das Ding nicht raus. Da hab ich meinem Bruder gesagt immer im platten Dialekt, dass der mich anbrüllte. Ich hab ihm gesagt: „Hast Du eine Zigarette da, August? Gib doch den Kuiz mal eine Zigarette.“ Und ich dachte mir, wenn die die nehmen – die durften sie nicht nehmen – die hatten aber nichts zu rauchen, freuten sich, wenn sie eine haben. Und wenn die rauchen, dann stehen die zusammen, und das hat genau geklappt. Der geht erst rein: „Entschuldigen Sie bitte“, sagt er, „kann ich mir eine Zigarette anstecken?“ – „Aber gerne“, ging hin, klopft dem eine raus, klopft jedem eine raus, nahmen sie, stellen sich zusammen vors Fenster. Jetzt war mein Augenblick gekommen – verstehen Sie? Jetzt waren sie zusammen, jetzt hatte ich sie alle im Revier. Ja, und da sagte ich zu ihm alles in Dialekt. – „Welche Sprache sprechen Sie denn?“ – Sag ich: „Wir können viele Sprachen, aber wir sprechen Dialekt.“ – „Sprechen Sie Hochdeutsch!“ Ich sag: „Na, wenn man sich lange nicht gesehen hat? Ich hab ihn doch jahrelang nicht gesehen, da spricht man halt da, wie wir zu Hause das gemacht haben.“ Hab ich immer platt gemacht, ich hab immer Platt weitergemacht, die haben ja jetzt geraucht. Die waren ja jetzt ruhig. Da habe ich dem gesagt: „Leg mal deine Mütze runter!“ Da legt er die Mütze runter. Da sag ich: „Ich werf dir jetzt einen Zettel da rein“, sag ich, „und dann musst du den Zettel, nimmst du mit heim, dann können die Briefe schreiben. Nach dem Zettel schreibt ihr dann die Briefe.“ Mein Herz hat geklopft bis da oben hin. Jetzt hab ich das rausgezogen. Jetzt hatte ich das in der Hand, dieses Würstchen da. Eben war die Luft rein und zack, eben war´s drin. Und da hat er mit der Hand da reingegriffen. Das hab ich gemerkt. Jetzt hat er das auch in die Tasche gesteckt. Jetzt ist es weit genug, habe ich gedacht. War noch in München, hat mir schon eine Postkarte geschrieben. Da hab ich noch erst, da waren schon die Schlüssel angewandt.

11. Geheime Nachrichten

11.1 Verschlüsselte Briefe

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Oder die Briefe. Wir durften 15 Zeilen nach Hause schreiben. Alle 14 Tage. Da hab ich Briefe dabei, da hab ich, nur oben steht drüber: Liebe Eltern und dann kommt das Sätzchen, was immer drin stehen musste an erster Stelle: Es geht mir sehr gut, muss da drin stehen, macht euch keine Sorgen, so ungefähr, das hat man oben da rein gepfercht. In den letzten Zeilen konnte man das ja wieder anders was schreiben.

Man konnte also zum Beispiel, man konnte schreiben: Heute ist ein sehr schöner sonniger Tag. Ich lehne gerade hier an der Baracke, da kommt ein Schmetterling reingeflogen. Das ist eine Freude, ein Gruß von draußen. Aber, der kann auch wieder rausfliegen, aber ich kann nicht rausgehen. Der muss schon reinfliegen zu mir. Praktisch Unsinn, gell. Oder ich schreibe, da bin ich als ein Vierteljahr mit spazieren gegangen. Als jetzt mein Bruder da war, da hat er mir erzählt, dass der Bald auch heiraten will. Das soll er doch nicht tun, nicht wahr, er ist noch viel zu jung. Oder: Ich habe auch Post bekommen vom Unteroffizier Mox. Ihr könnt mal zu dem gehen. Ihr könnt ihm sagen, er ist doch selber so dumm, wenn es nicht so friert, soll’s doch einen Pullover anziehen. Aber die Namen bedeuten alle etwas anderes, nicht. Ich hab das – der hieß Bald – ich hab bald übersetzt auf Lateinisch – mox heißt das. Und der eines Tages war er bei der Besoldungsstelle der Waffen-SS. Und da kommt der mir entgegen – wir durften da rein ohne Kontrolle und auf den Lokus gehen – wäre ja noch schöner, wenn einer mitgegangen wär auf den Lokus. Und da kommt er mir entgegen. Und da sagt er: „Du heißt doch Albinger, gell?“ Sag ich: „Ja.“ – „Geh mal auf die Toilette, ich komm auch nach.“ Ist der auf Toilette gegangen. Da bin ich auch da reingegangen. Und dann hat er seinen Rock ausgezogen und hat den Pullover ausgezogen und sagt: „Zieh den Pullover an. Deine Mutter hat mir gesagt, dich würde es frieren.“ Da hab ich den Pullover angezogen, den Rock wieder angezogen. So jetzt hatte ich einen Pullover. Hat der mir reingebracht. Den kannte ich von Hanau von unserer Pfarrei. Ich bin in Hanau verhaftet. Und das war ein SS-Mann.

11.2 Ein Geheimbrief

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Ich habe einen Geheimbrief raus geschrieben. Ich habe einen Verwandten, der war hoher Offizier und hat die Fähnriche geschult in Budweis im Sudetengau da drüben. Und der liest meinen Brief und schreibt jetzt einen geharnischten Brief ans Konzentrationslager. Ei, was muss der alles geschrieben haben. Ich weiß es, der lebt noch, der ist durchgekommen durch den Krieg. Was der geschrieben hat. Und da werde ich gerufen in die Gestapo-Abteilung, die politische Abteilung. Und da sitzt der so in der Ecke vom Tisch und sagt: „Du hast gesagt, du hast illegale Briefe geschrieben.“ – „Ich? Wieso ich, nee, ich hab doch keine illegalen Briefe.“ – „Ja, aber woher weiß man denn draußen, dass du deshalb hier bist? Dass du krank warst? Woher weiß man das draußen?“ Da sagte ich: „Ich hatte am 10. August hat ich Besuch, da hab ich das meinem Bruder erzählt.“ Und jetzt merkte ich, ich guckte ganz scharf dahin, da sah ich einen Bogen Papier mit Kopfvordruck oben. Denk ich, das ist nicht mein Brief. Denn ich musste immer noch, die hatten mein Brief geschnappt, konnte ja sein. Die haben meinen illegalen Brief, den ich geschrieben habe nach Hause, den haben sie geschnappt. Als ich den Brief sah, denk ich, das ist nicht dann der, das ist ein andrer Brief. Und dann, also inhaltlich war er´s, seine Brüder stehen an der Front, nicht wahr und so weiter und so weiter. Und der sitzt hier, und er hat doch nichts getan, lasst doch den Mann los und hat wohl inhaltlich das geschrieben. Aber als ich das sah, dass das ein Brief war mit Kopfvordruck, dass das nicht hat, das hat nichts mit mir zu tun. Aber dass ein Brief geschrieben war, das wusste ich. Und dann hab ich ihm auch ziemlich korrekte, freche Antworten gegeben. Jetzt wusste ich, dass so was herkommen könnte. Ganz freche Antworten hab ich gegeben, ganz gezielte. Die hätten ja auch schlagen können. Das haben die oft bei diesen Verhören gemacht. Ich kann Ihnen sagen, da ging es her. Hatte ja nichts getan.

Und dann wurde ich ins Revier gerufen, und da sitzt auch einer da, ein SS-Mann vom Revier. Und dann musste ich erst zwei Stunden davor stehen und barfuß, und ich hab mich dann da hingestellt. Dann nach zwei Stunden wurde ich rein gerufen. Und da sitzt der da, und da melde ich mich. Musste mich immer melden mit meiner Nummer, Mütze abziehen und dann vor dem Deppen melden, nicht wahr. 29121 [29171] ohne Neuigkeit. „Wie heißt denn du?“ Sag ich: „Josef Albinger.“ – „Was bist du von Beruf?“ Guckt immer so rum, wie so ein böses Tier, der mich anspringen will in jedem Augenblick. Da sagte ich: „Katholischer Priester.“ Jetzt saß er da und macht: „Katholischer Priester, katholischer Priester. Der Saupfaff, nicht?“ Da sag ich: „Nein, katholischer Priester“, sag ich. „Katholischer Priester ist kein Saupfaff. Ein Priester würde man vielleicht sagen.“ Ich habe nicht zurückgegangen. Ja, ja ich bin Saupfaff, nicht. Nein, nein, das bin ich nicht. Hat er mir gesagt. Er wusste nicht, was ein katholischer Pfarrer, Priester ist. Wenn ich Pfarrer gesagt hätte, hätte er es wahrscheinlich geschluckt, nicht. Aber dann wurde dem ein Brief geschrieben. Der hatte den Inhalt ungefähr: „Machen Sie sich keine Sorgen um ihren Verwandten, der genießt Ehrenrecht hier, nicht wahr, und dem geht es gut, net. Er hat gar nichts zu befürchten und so weiter und so weiter. Gesundheitlich ist er in bester Ordnung. Das Theater haben die gespielt mit mir, aber sonst nichts.

11.3 Ein Sterbebild – entworfen in Dachau

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Als mein jüngster Bruder gestorben ist. Ich krieg ein Telegramm, der ist gestorben. Dann macht man so Sterbebildchen. Hast du schon mal gesehen? Die kannst du so machen, wie Gedächtniszettel. Und den Zettel hab ich in Dachau geschrieben für meinen jüngsten Bruder. Und da hab ich auch reingeschrieben: Er machte sich viele Gedanken, besonders um seinen einzigen noch lebenden Bruder im Konzentrationslager Dachau, stand da drin. Und noch ein zweiter Satz. Auf dem Sterbebildchen darf aber nicht das EK 1 sein. Das hat er gehabt, mit dem Pleitegeier, also mit dem Hakenkreuz. Es ist auf seinem Sterbebildchen nicht das Hakenkreuz drin. EK 1 ist drauf, aber nicht das Hakenkreuz, weggeblieben. Und jetzt kommt das Bild und wird wieder rein geschickt, das ist für euch interessant. Jetzt haben die das Bildchen in lauter Schnippelchen geschnitten und haben das. „Besonders machte er sich Gedanken um seinen einzig noch lebenden Bruder“, das haben sie rausgeschnitten gehabt. Und noch was, nicht, aus dem Bildchen. Aber das war für mich ja zum Lachen. Wir haben uns da ja kaputt gelacht darüber, ich hab es doch selbst geschrieben. Ich habe es selbst geschrieben, hatte es rausgeschickt, die haben es draußen drucken lassen, bei Parzeller in Fulda, haben sie es wieder rein geschickt. Das haben sie dann alles kaputt geschnitten.

12. Kommando Messerschmitt

12.1 Messerschmitt in Dachau

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Ich habe viele Kommandos gehabt. Und ein Kommando war doch Messerschmitt. Da haben wir die Jäger gebaut und die V-Waffen. V1. Ich bin ja Spezialist. Ich weiß, wie diese Scheißdinger gebaut werden. Da laufen zwölf Relais-Kästen drin mit Silbermagneten, weiß ich heut noch. Das dann geschaltet wird und gemacht wird das Ding unterwegs zu steuern ist, dass das genau [den] Dom trifft, will ich mal sagen. Ja, da war ich. Und es war ein gefährliches Kommando.

Interviewer: Hatten die ein Werk? Die waren ja eigentlich in Regensburg, hatten die ein Werk direkt in Dachau?

Nein, nein, die waren in Augsburg. Und die hatten Zweiglager ins Konzentrationslager gelegt, damit nichts rauskam von den V-Waffen, nicht. Da kam ja wenig raus. Da kamen ja die andern nicht hin. Und dann haben wir das da gemacht und Jäger gebaut. Das auf der einen Seite ein Kommando, wo man nicht nass geregnet wurden, denn es arbeitete noch draußen 500 Pfarrer in der Plantage draußen im Moor. Und wenn man da nass war und wurde nicht trocken. Da wurde man pitsche-patsche nass. Was kam oben rein, unten raus, konnte es aber nicht trocknen. Konnte keine andren Kleider anziehen. Ging nicht. Musstest also immer in dem nassen Zeug rumlaufen, und da wurde man leicht krank. Auch das ist alles ganz patsch-nass gewesen, das Ding da.

Ja, und da hatten wir nun auch vernünftige Leute. Da kam ein Meister rein von Augsburg. Meister, die uns sagen mussten, wie das gemacht wird. Und in einer Nachtschicht hat mir ein Meister, er hieß Meister Müller, er hat den seltenen Namen Müller gehabt. Und er hat mir gesagt: „Ich bin auch katholisch“, sagt er. „Schrecklich, was die mit euch hier machen, nicht?“ Gut, und da hab ich zweimal mich mit ihm unterhalten in der Nachtschicht. Wir hatten 14 Tage Tagesschicht, 14 Tage Nachtschicht. Es arbeiten immer 500 Mann im Wechsel. Immer 500 rein, 500 raus. Und dann hab ich ihm gefragt: „Würdest du mir auch mal ein Brief mit rausnehmen?“ – „Freilich“, sagte er, „mache ich doch.“ Sag ich: „Sie brauchen auch keine Angst zu haben“, sag ich, „ich lass mich auch dafür hängen.“ Sag ich: „Aber wir zwei wissen es ja nur, wir zwei, Sie und ich.“

12.2 Das Einstellungsgespräch

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Ja, und dann vielleicht noch, wie ich in Messerschmitt reingekommen bin, das darf ich euch noch erzählen. Wir flogen also als Karl Schramm, den ich schon erwähnte, der war auch in der Besoldungsstelle, hat einen illegalen Brief geschrieben, der wurde da geschnappt. Der wurde erschossen. Und da flogen wir alle aus der Besoldungsstelle raus. Keiner mehr durfte da drin sein. Da haben sie dann die ganze weibliche Jugend zusammengetrommelt aus der Stadt Dachau, die mussten jetzt die Stellen besetzen, die konnte´s ja nicht. Von da an war schon Tohuwabohu, alles durcheinander. Die ist nicht mehr in Griff zu kriegen, nicht was wir hatten. Und da kriechten wir, wir sollten wieder ins Moor. Moorarbeit ist schwere Arbeit, nicht. Da unten in der Nässe stehen. Und Dachauer Hochmoor da und der Wind fegt da drüber weg. Und wir sahen abends aus als wären wir Mulatten, wie die Neger von dem schwarzen Staub. Und da sagt einer, der mit mir gekommen ist, das war der Sekretär vom Erzbischof in Prag, vom Kardinal Beran. Schon was gehört? Sein Grab ist in Rom, da steht er in dem großen Steinsarg, da liegt er drin, sein Grab.

Sagst nachher noch mal ein Wort, ein Reizwort, nicht wahr, Kommando Moorexpress. Das wäre das Nächste. Aber jetzt will ich noch mal von Dachau erzählen. Und dieser Kaplan Franz Ulrich, das war der Sekretär von diesem Kardinal, von diesem Erzbischof in Prag. Und er sagt: „Josef, also Moor gehst du nicht. Du kommst zu mir nach Messerschmitt.“ Und der war Kontrollstellenleiter bei Messerschmitt. Kontrollstellenleiter, also oberster von den Kontrollen. Und sagt: „Und was soll ich da machen?“ – „Grad ´ne Stelle frei, Kontrollstellenleiter vom Rumpfvorderteil. Das machst du.“ Sag ich: „Ich hab ja keine Ahnung“, sag ich, „ich versteh ja nichts.“ Sagt er: „Also Flieger musst du sein, da werden nur Flieger genommen. Aber du musst lügen, du musst die belügen. Du musst sagen, du wärst Flieger, nicht.“ Sag ich: „Franz, das geht nicht, das kann ich nicht machen, die stellen mir eine Querfrage über die Thermik, das weiß ich, da verstehe ich nichts von, was ein Flieger sofort wissen muss, und da liege ich doch drin, da wissen Sie sofort, dass ich kein Flieger bin. Also ich gehe nicht mit.“ – „Du musst mit, ich habe dich angemeldet, wir müssen jetzt gehen, der wartet auf uns.“ Und der da drin saß, der hieß Dr. Ameiser. Machte die Lippen nicht, also sind böse Menschen, die die Lippen nicht auseinander machen. Er stellte mir eine Frage, die hieß: „Du bist der Herr … “ Und da antworte ich, wie es in der Bibel steht: „Wenn ihr vor das Gericht gezogen werdet, überlegt nicht, was ihr sagen sollt, es wird euch gegeben.“ Wisst ihr, was ich geantwortet habe? „Von der Wasserkuppe, da wo die Segelflieger fliegen.“ Hab ich dem geantwortet, der fragt, wo ich her bin, sag ich: „Von der Wasserkuppe, da wo die Segel … “ – „Also“, sagt er, „außer Motormaschinen auch noch Segelflieger?“ Sag ich: „Freilich, ja“ Da hat mein Herz geklopft. „Donnerwetter“, denk ich, „wie wird das ein Ende jetzt hier nehmen?“ Wie der Franz Ulrich, der Chef, Kontrollchef, der stand immer neben mir, nicht. Ich habe ihm vorher gesagt: „Da musst du aber lügen.“ Der sagte aber kein Wort, nicht. Da sagt er [Dr. Ameiser] : „So, was gibt´s denn Neues draußen?“ Da sag ich: „Naja Gott, was gibt es Neues?“, sagte ich. „Das letzte, was wir so getan haben da draußen, das war, wo wir dieses schwanzlose Ding mit Hanna Reitsch eingeflogen haben.“ – „Da waren sie dabei?“ Sag ich: „Freilich.“ Da war ich Kaplan hier in Poppenhausen, das wusste ich aus der Zeitung, dass die so ein Dreieck einfliegen wollten. Da musste ´ne kleine Person rein. Das war die trubel-berühmte Fliegerin Hanna Reitsch. Von der was gehört? Sicherlich. Die wurde da rein gesperrt, nicht, in das Flugzeug. Und da war ich dicke da. Also der ist dabei gewesen, wo das schwanzlose Ding eingeflogen werden soll und so weiter und so weiter. Hatte aber auch ein Nachteil, der kam jetzt dauernd zu mir zu meinem Kommando. Da wollte der wissen, was es so gibt, und wie ich das kenne und mache. Und ich konnte doch nichts

12.3 Arbeit als Kontrollstellenleiter

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Jetzt kam der [Franz Ulrich] vorne raus von dem Kautz, sag ich: „Und jetzt?“ – „Jetzt bist du Kontrollstellenleiter.“ Sag ich: „Ich kann aber doch gar nichts. Ich weiß doch von der ganzen Partie nichts.“ Der führte mich zu dem Kommando, wo ich jetzt tätig sein muss, die das bearbeitet haben das Rumpf-Vorderteil. Und das waren Russen und Griechen und Italiener und Polen und noch die ganze Welt. Katholische Pfarrer, wir waren alleine aus 25 Nationen. Da könnt ihr euch vorstellen, wie wir durcheinander gequatscht haben. Gepredigt wurde sonst nur lateinisch, nicht. Wir haben ja sonst nicht verstanden. Ja und wo wir dort angekommen sind, da sagt der [dem] Nikolai auf Russisch: „Komm mal her, komm her.“ Und da sagt der dem, mach dem klar: „Der kann gar nichts, der versteht überhaupt nichts davon, du musst alles machen.“ Der war Ingenieur, der konnte was, der hat das verstanden. Und da guckt der so auf meine Brust und macht: „Ach du, du heißt Josef, Josef, Josef kaputt. Du kaputt!“, sagt er. 29171. Er hat die Nummer vielleicht 220 000 gehabt, nicht, und ich nur 29… Ich galt als einer der ganz, die schon jahrelang da sind. Und das wusste der, nicht. „Du bist kaputt. Du kannst nicht mehr viel machen, nicht.“ Ich mach immer „Harascho, ich mach alles gut.“ Und da kriegte ich einen Stempel, 500 so und so viel. Ich war 540 so was. Da musste ich dann jedesmal einen Teil selbst stempeln, nicht. Jetzt wussten die in Augsburg ganz genau, wer das kontrolliert hat, das war ich als Kontrollstellenleiter. Auch äußerlich, öffentlich denen gegenüber war ich der Kontrollstellenleiter. Und wenn ich so was abstempeln musste, hab ich immer gerufen: „Ja, harascho, harascho, nix sabewajesch.“ [Gut, gut, du hast nichts vergessen.] Dann wurde das Zeug nach Augsburg gebracht mit Lastzügen. Das hat ´ne Woche gedauert. Wenn die Amerikaner ´nen Angriff flogen, dann kam´s wieder zurück. Da haben sie alles kaputt geschmissen. Da haben wir unsere eigenen Waren wiedergekriegt. Eines Tages werde ich gerufen und äh …

Interviewer: Das waren Flugzeugteile? – Bitte? – Das waren Flugzeugteile?

Flugzeugteile, der Rumpf-Vorderteile. Also Einzelabwurf, Kettenabwurf, Notabwurf, nicht wahr, nicht. Die ganze Bomben, das ganze Bomben-Unwesen da, und die ganzen Maschinengewehre. Das konnte ich dann aber zum Schluss auch, das hatte ich mir gut angelernt. Ja, werd´ ich gerufen. „Es wird ein neue Serie gebaut“, sagt er. „25 Maschinen“, sagt er, „pass gut auf.“ Sagt er: „Da wird also die Enteisung wird weggelassen.“ Weil wir nichts mehr hatten. Sonst friert man ja kaputt oben, die Enteisung wurden ja drangemacht. Da sagt er: „Da verbinden Sie dann 25-poligen Stecker gleich damit“, sagt er, „und dann wird der umgeleitet nach da und so und so.“ Ich hab geguckt und aufgepasst, aufgepasst ganz genau. Da bin ich rausgekommen, schnell die Zeichnung und die Blätter hingelegt. „Nikolai, komm her, also neue Serie wird gebaut. 25.“ – „Warum 25, warum? Viel Aeroplan, viel BumBum, viel Ruski kaputt.“ Habt ihrs verstanden? Viel Flugzeuge, Aeroplan, viel Flugzeuge gebaut, da sind viele [unverständlich] sag ich: „Nikolai, alles kaputtne in Augsburg“, sag ich. Haben wir uns kaputtgelacht. Das kommt wieder, haben wir gesagt, wir kriegen das wieder rein. Bauen wir geschwind. Wie soll ich das dem erklären. Also denk ich, Enteisungsöl weg, dann muss vom 25poligen Stecker da ´ne Verbindung hier rüber gemacht werden, da kommt ein anderer Stecker hin. Ja gut, gut, alles harascho, hab verstanden.“ Harascho ist gut, ich versteh´s, brauchst nichts mehr zu sagen. Da hat er´s gemacht, hat er´s gemacht.