Margarethe (Gretel) Gaul, geb. Israel – Tagebuch / Tondokument Zeitzeugenbefragung zu Fulda im 2. Weltkrieg

Arbeitsmaterial zur Unterrichtsreihe: Unsere Heimat – Landkreis Fulda
Zeitzeugenbefragungen 2. Weltkrieg und Nachkriegszeit in Fulda

Margarethe (Gretel) Gaul, geb. Israel – Tagebuch

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Nachfolgend eine Auflistung der Kapitel und, wenn verfügbar, die gesprochenen Texte zum mitlesen.
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1. Die Kraftfahrerin Gretel Gaul (+2011)

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(nach ihren eigenen Erinnerungen, niedergeschrieben von Peter Scheel)

Nachdem in den meisten unserer Berichte Männer die Hauptrollen spielen, wollen wir wenigstens in einem unserer Beiträge einmal auf eine Petersbergerin eingehen.
Margarete, gen. „Gretel“, wurde am 30.06.1923 in Fulda als Tochter des Dachdeckermeisters Georg Israel geboren. Schon früh, im Alter von kaum 7 Jahren, verlor sie ihren Vater, die Mutter musste die kleine Familie fortan mit Näharbeiten alleine ernähren und sich um die Erziehung der Tochter kümmern. Sie besuchte vom 01.04.1930 bis zum 31.03.1938 die Heinrich-v.-Bibra-Schule in Fulda. Wie in dieser Zeit vom Staat gefordert, leistete sie anschließend ihren Dienst als Pflichtjahrmädchen im Haushalt der Fuldaer Familien Oertzen und Haas ab. Von 1939 bis 1942 war sie als Lehrmädchen bei der Firma Hempel beschäftigt, wo sie zur Verkäuferin ausgebildet wurde. Durch den Mangel an männlichen Kräften, die im Kriegseinsatz waren, forderte der Staat die jungen Mädchen nach der Lehre auf, einen Dienst bei dem Reichsarbeitsdienst anzutreten. Auch Gretel kam diesem nachdrücklichen Wunsch nach und wurde für ein halbes Jahr in einem landwirtschaftlichen Betrieb in Korbach untergebracht. Der Bauer behandelte alle bei ihm Beschäftigen gut, auch die dort eingesetzten Kriegsgefangenen durften mit am Tisch essen, was ihm ständig Ärger mit der Parteileitung einbrachte. In ihrer Erinnerung hat es ich jedoch besonders eingeprägt, dass er sich dadurch nicht von seinem Verhalten abbringen ließ, was ihm von so mancher Seite Hochachtung einbrachte. Der weitere Weg führte sie vom 27.10.1942 bis 29.03.1943 nach Kassel, wo sie bei der Verkehrsgesellschaft als kriegshilfsdienstverpflichtete Straßenbahnschaffnerin tätig war. Hier war nun Durchsetzungskraft angesagt, man musste hier buchstäblich seinen Mann stehen, was nicht immer einfach war.
Ihre Versuche wieder näher der Heimat eingesetzt zu werden, zeigten am 19.04.1943 Erfolg. Sie kam an die Reichsbahn nach Fulda und wurde dort zuerst an der Drehscheibe eingesetzt. Hier wurden die Lokomotiven, die aus dem Lokschuppen kamen, gedreht und auf die dementsprechenden Gleise verteilt. Das hieß auch in stockdunkler Nacht,
die heranrollende Lok am Pfeifsignal zu erkennen und auf der Drehscheibe entsprechend zuzuordnen. In den immer wieder entstehenden Wartezeiten fühlte sie sich jedoch oft sehr einsam in dem kleinen Unterstand, so nutzte sie die Zeit um sich das Mundharmonika spielen selbst beizubringen. Mit ein wenig Musik fühlte man sich nicht ganz so alleine. Noch nicht einmal zwanzig Jahre alt, legte sie bald darauf die Führerscheinprüfung für Fahrzeuge bis 3 t in Frankfurt ab. Nach einer kurzen Einweisung wurde sie auf einen 3 t Kleinlastwagen, Fabrikat Citroen, gesetzt und musste von nun an Stückgut fahren. Das Fahrzeug wurde wahlweise mit Flaschengas, aber durch Rohstoffmangel meist mit Holzvergaser-Antrieb betrieben.
Man kann sich vorstellen, was das für eine junge Frau bedeutete, oft ganz allein mit solch einem technisch sehr komplizierten und arbeitsintensiven Fahrzeug unterwegs zu sein. Die Fahrten führten sie bis nach Schlüchtern -Jossa und nach Hünfeld. Und alles während ständiger Luftangriffe und Bombardierungen, die es auch zu meistern galt.

Trotz dieser Belastungen, zeigte sie besonderen Einsatz bei dem schweren alliierten Bombenangriff am 11. September 1944 und wurde dafür mit dem Kriegsverdienstkreuz 2. Klasse ausgezeichnet, was damals sogar einen Artikel in der Fuldaer Zeitung wert war. Eine Auszeichnung, die im Gegensatz zu den meisten anderen in dieser Zeit aller Ehre wert ist, da es auch um die Rettung von Menschenleben ging. Später wurde sie zur Cheffahrerin am Maschinenamt der Bahn bestellt und war als einzige weibliche Fahrerin im ganzen Bahnbetriebswerk tätig. Trotz allem hieß es immer noch anstehende Reifenwechsel nach Schäden selbst durchzuführen, die Vorgesetzten saßen in aller Ruhe daneben, schauten zu und rauchten währenddessen eine Zigarette. Oft wurde es spät, bis es nach Hause ging, wenn man nach Besprechungen der Führungskräfte bis nachts warten musste. Als Fahrzeuge wurden nun ein Opel und ein Zweitakter der Marke Framo eingesetzt. Weihnachten 1944 wurde sie in der Kurfürstenstraße mit ihrer Mutter zusammen ausgebombt, fast alle persönliche Habe ging verloren. Auch nach dem Ende des Krieges, in der Zeit der amerikanischen Besatzung, war sie im Auftrag des „Superintendent of Reichsbahn Engine Office at Fulda“ als Kraftfahrerin eingesetzt.

Ihren späteren Mann Felix Gaul, der ebenfalls bei der Bahn beschäftigt war, lernte sie 1945 kennen und lieben. So hatten die beiden in diesen schweren Zeiten durch Gretels Tätigkeit und den damit verbundenen Benzinzuteilungen immer mal wieder die Möglichkeit, die Versorgungslage für sich selbst und die nächsten Angehörigen ein wenig aufzubessern.
Durch die Hochzeit 1950 kam sie dann an den Petersberg. Nach der Geburt des ersten Kindes 1951 hörte sie auf zu arbeiten. Doch bis ins hohe Alter erinnerte sie sich trotz allem gerne an ihre Zeit als Kraftfahrerin. Ein nicht alltäglicher Lebenslauf -für eine Frau in dieser Zeit.

2. Tagebuch von Margarethe (Gretel) Israel

2.01 Vorwort

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Bearbeitung: Günter Sagan mit technischer Unterstützung vom Medienzentrum Fulda

Gretel Israel, wie sie allgemein genannt wurde, erblickte am 30. Juni 1923 als Tochter des Dachdeckermeisters Georg Israel in Fulda das Licht der Welt. Sie heiratete in den ersten Nachkriegsjahren Felix Gaul aus Petersberg. Ihr Sohn Felix stellte das Tagebuch im Jahre 2013 zur Verfügung und lieferte Hintergrundinformationen.
Die Eintragungen im vorliegenden Tagebuch beginnen am 5. März 1945 und brechen am 6. Mai 1945 ab. Die Aufzeichnungen erfolgten damit in einer Zeit, die zu den dunkelsten unserer Geschichte zählen. Die Leiden der Zivilbevölkerung standen in diesen Tagen denen der Soldaten an der Front kaum noch nach.
Das Tagebuch gewährt nicht nur einen Einblick in sehr Persönliches, sondern beschreibt mit eindringlichen und unverformten Worten den Alltag in diesen letzten Kriegstagen, in denen der Ausnahmezustand Normalität war.
Die Tagebuchschreiberin arbeitete im angegebenen Zeitraum als Cheffahrerin am Maschinenamt der Reichsbahn und war damit die einzige Fahrerin im gesamten Bahnbetriebswerk Fulda. Einen Reifenwechsel z.B., den das verwendete Material sowie der Straßenzustand öfters nötig machte, musste sie selbst vornehmen. Die Vorgesetzten saßen oder standen daneben und rauchten eine Zigarette. Als Fahrzeuge dienten ihr ein Opel oder ein Zweitakter der Marke Framo. Hier handelt es sich wahrscheinlich um die vierrädrige Ausführung des Kleintransportfahrzeuges mit einem Motor von 500 cm³ Hubraum.
Am 27. Dezember 1944, dem schrecklichsten Bombenangriff auf Fulda mit 775 Toten, traf eine Bombe das Haus in der Kurfürstenstraße 28, in dem sie mit ihrer Mutter wohnte. Fast ihre gesamte persönliche Habe ging dabei verloren.
In der bearbeiteten Fassung des Tagebuches wurden des besseren Verständnisses wegen leichte Veränderungen bei Formalien vorgenommen und Erläuterungen in eckigen Klammern hinzugefügt.
Die Aufzeichnungen von Frau Gretel Israel werden gelesen von ihrer Enkelin Julia Margarethe Gaul. Erläuterungen zu Personen, die im Tagebuch genannt werden, gibt Felix Gaul, der Sohn der Tagebuchschreiberin. Sachliche Hinweise erfolgen durch Günter Sagan.

2.02 Montag, 05. März 1945

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„Mein altes Tagebuch ist verbombt – verschüttet. Es tut mir leid, hat es mir doch so viel gegeben und ist so lange beschrieben worden. Aber wie alles neu angefangen wird, wird auch das Tagebuch neu weitergeführt.
Es soll mich durch die schwere Zeit begleiten, treu wie immer, es soll mir auch nicht wieder verloren gehen. Möge der Herrgott machen, dass wir beide wieder bessere Zeiten sehen und Friede und Gemütlichkeit, Kampf haben wir wahrlich genug gehabt – Kampf und Krieg.
Wenn ich nur recht bald was von meinem Ernstl hören würde Ich mache mir so große Gedanken um ihn.
[Bei „Ernstl“ handelt es sich um einen Marinesoldaten, den die junge Frau kennen gelernt hatte und mit dem sie in engem brieflichen Kontakt stand. Nach dem Krieg fand auch ein Treffen der beiden jungen Leute statt, eine dauerhafte Verbindung ergab sich jedoch nicht.]

2.03 Dienstag, 06. März 1945

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War in Steinau – 37 Stunden Dienst gemacht, war scheußlich. Erdmann hat seinen Namen weg, Holzvergaser heißt der Mann. [Wegen Treibstoffmangel fuhren ab 1943 viele Fahrzeuge mit einem Holzvergaser, der ein ofenähnliches Aussehen hatte. Er bestand aus einem Generator, in dem Holz verkokt wurde. Die dabei entstehenden Gase wurden dem Motor zugeführt. Hier wird der Begriff als Spitzname verwendet.]

2.04 Mittwoch, 07. März 1945

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Ottmar [ein anderer Soldat und Verehrer] war da. Ach, armes Gretelchen! Aber du warst brav und deinem Ernstl treu. Habe ich den Ottmar gern? – Nein. Richtig lieb habe ich nur meinen Ernstl, meinen blauen Jungen, meinen Süßen, wie Frau Reith so nett sagt. Hatte einen halben Tag frei.

2.05 Donnerstag, 08. März 1945

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Habe den Ottmar an die Bahn gebracht, ist fort nach Wetzlar gefahren.

2.06 Freitag, 09. März 1945

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War in Flieden – Schlüchtern mit Doktor Frindler und dem Holzvergaser. Habe Waldi wiedergesehen, und RAD [Reichsarbeitsdienst] – die Erlebnisse aufgefrischt

2.07 Samstag, 10. März 1945

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Sonnabend, viel Alarm. Zwei Uhr Feierabend

2.08 Sonntag, 11. März 1945

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In der Kirche, viel gearbeitet an unserem neuen Heim. Ist wieder recht gemütlich hier. Wenn es nur alles so bleibt.

2.09 Montag, 12. März 1945

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War heute mit Erdmann in Gersfeld. Er ist ein alter mieser Kerl – kann ihn nicht leiden. Sind um vier Uhr heil in Fulda gelandet. Ach ja – die Tiefflieger. – Alle haben Angst vor der näher rückenden Front. Wenn es still ist, hört man die schwere Ari [Artillerie] rumsen. Hatte heute Post vom Ernstl, abgestempelt am 4. März. Kommt nach Dänemark, mein Liebster. Ich mache mir so oft so meine Gedanken. Hat ja doch keinen Zweck, das alles. Ich schreibe meinem Ernstl jetzt noch einen Brief.

2.10 Donnerstag, 15. März 1945

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Habe heute Dauerwellen bekommen, war das eine tolle Sache! Ich kann dir flüstern. Aber es hat geklappt – ein Glück. [Dauerwellen waren damals Luxus! Frau Israel musste bestimmt deshalb besondere Anstrengungen unternehmen.]
Ich sitze eben im Bunker. [Frau Israel flüchtete meist in den sogenannten Waidesbunker unter den Reichsbahnanlagen. Er bestand aus einem behelfsmäßig ausgebauten Wasserdurchlass der Waides] Sind toll eingeflogen nach Mitteldeutschland, und kann nun schon in mein Tagebuch eintragen. Habe heute Post von Ottmar bekommen vom 10.3. aus Weilburg. Ich glaube, dass dies noch eine Mordsenttäuschung für den Herrn Sch … [Rest unleserlich] gibt. Ich hab doch nun mal meinen Ernstl und bleibe ihm treu, muss ganz einfach. Ich habe ihn ja so lieb, meinen blauen Jungen. Jetzt habe ich schon eine ganze Weile nichts von ihm gehört. Ob die Post nicht durchkommt? Im Dienst war es ganz nett heute. Habe wieder wie immer organisiert und den Hartmann geärgert. Er war [unleserlich] hoch, weil er frühmorgens nach dem Distelrasen fahren musste mit dem B.A.
Ganz Fulda wartet auf einen Angriff, es ist bald [unleserlich]. Ob du, mein liebes Tagebuch, wieder verloren gehst? Das alte, liebe, ist verschüttet. Schade, hat es auch von der K.H.D.–Zeit [Kriegshilfsdienst] treu begleitet. Na, bleib du mir jetzt.

2.11 Freitag, 16. März 1945

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Heute ist der DKW getarnt worden, nach Angabe des ‚Holzvergasers’. Schön ist er nicht, es geht so! Ach, du lieber Himmel, war das heute nur Alarm. Den ganzen Tag Voralarm und heute Abend eine Stunde der [wahrscheinlich Vollalarm]  drüber.
Post habe ich immer noch keine von Ernstl, mache mir Gedanken darüber. Eigentlich war heute nichts Besonderes, morgen will ich mal nach meinen Stiefeln sehen, die sind noch beim Jahn. Meine Dauerwellen sind schon ganz annehmbar. –

2.12 Sonntag, 18. März 1945

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Muss noch vom Samstag eintragen
Da ist der Framo getarnt worden. Wir hatten 3x Hauptalarm, und in Engelhelms, Bieberstein und Fulda Priesterseminar sind Bomben gefallen. [Die Verlegenheitsbombardierung der Amerikaner vom 19. März forderte insgesamt 16 Tote und 39 Verletzte.] Immer noch keine Post von Ernstl. Ottmar hat beim Chef angerufen. War bis ca. 9 Uhr im Dienst – und früh auch von 8 bis 1 Uhr. Um 3 Uhr hat mich Hesselbach geholt, musste nach Flieden fahren, den ‚Holzvergaser’ abholen. Sind heute mit Dienst-Framo auf der Bachrainer Straße liegengeblieben. Da kam „zum Glück“ noch Alarm dazwischen. Heute Mittag war es schön, kein Alarm.

2.13 Dienstag, 20. März 1945

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Muss noch vom Montag eintragen, dem 19. März. Wir hatten wieder mal einen Angriff auf Fulda. Habe in der Waides gesessen und ihn dort miterlebt. Es hat schlimm gekracht, und vor und hinter dem Durchlass hat es reingeschlagen. Die BW [Bahnbetriebswerk/Reichsbahnausbesserungswerk] ist auch ziemlich zerstört. War heute, 20. [März], oben. Habe einen guten Tag heute gehabt. Einen Füller bekommen und noch einen weißen Anzug geerbt. – War heute mit Isidor auf dem Dach. Im Dienst war ich heute in Götzenhof und in der BW. In Steinau wurde ein Zug beschossen – sieben Verwundete! Heute hatten wir bis jetzt 9.45 keinen Hauptalarm.

2.14 Mittwoch, 21.März 1945

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War ein toller Tag, der Mittwoch! Framo läuft wieder. War in der BW morgens, Alarm in Edelzell. Mittags gefahren für Werkküche, Kerzell und Wasser. Für BW Sauerstoff. Abends Feuerwerker geholt – Dienstschluss 20.30 Uhr.

2.15 Donnerstag, 22. März 1945

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Nachts hatte Mutti die Brille verloren beim Hinfallen, Junge, Junge
BW gefahren – Alarm – starker Tiefangriff, sämtliche abgestellten Züge in Brand geschossen. Abends Personal nach Flieden gefahren, Dienstschluss 20.30 Uhr

2.16 Freitag, 23. März 1945

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Heute viel gearbeitet. Feußner war nicht da. Zuerst in der BW gewesen, Motoren und dergleichen zum Uhl gefahren – Alarm – Mittags in Angersbach Benzin geholt. Dienstschluss 21 Uhr.
Immer noch keine Post vom Ernstl mache mir Gedanken.

2.17 Samstag, 24. März 1945

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Dienstbeginn 5 Uhr morgens, war mit Framo in Flieden, Dieselaggregat geholt. Bin um 9.30 Uhr heimgekommen. Ottmar hat ein Telegramm geschickt, ist wieder in Wetzlar. Framo ist die Kupplung kaputt. Feußner macht sie wieder.

2.18 Sonntag, 25. März 1945

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Junge, das war ein Tag. Einer der schwersten Angriffe auf die Bahn. Die ist kurz und klein geworfen. [Das Bombardement der 9. US-Luftflotte richtete nicht nur schwere Zerstörungen an, sondern tötete auch 153 Menschen.] Und der Ami ist nicht mehr weit, über Hanau ist er schon. [Tatsächlich hatten die US-Truppen am 25. März Hanau erreicht und bei Großauheim einen Brückenkopf gebildet, aus dem sie am 28. März noch Norden vorstießen und am 29. März Lauterbach erreichten.] Was wird uns das Morgen bringen? Ob ich meinen Ernst wiedersehe? Ich habe Angst um dich.

2.19 Montag, 26. März 1945

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Wir haben bei Hartmann [Hans Hartmann war einer der Chefs von Frau Israel] geschlafen, wollen die erste Zeit hier bei ihm bleiben. Vielleicht kriege ich das doch wieder hin, dann ziehe ich wieder raus, wieder rauf an die Bahn. Ist hier oben viel schöner, und wir können in die Waides gehen und dort (shl.) den Alarm über sein.

2.20 Dienstag, 27. März 1945

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War den ganzen Tag am Dach, ist das aber eine Arbeit. [Das Dach wurde offensichtlich beim Angriff vom 25. März beschädigt.] Ob ich es wieder hinkriege, ist eine Frage. Ottmar ist wieder in Wetzlar, hat gestern geschrieben, aber ich habe nur meinen Ernst lieb, meinen guten.

2.21 Mittwoch, 28. März 1945

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Sind wieder im Waides-Bunker, ist Alarm, will nachher noch mal aufs Dach gehen.

2.22 Donnerstag, 29. März 1945

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Karfreitag, den werde ich nie vergessen. War Revolution am Güterbahnhof. Ich kann euch sagen, das Volk war wild. Kaffee, Wein , Tabak, alles war da,  auf einmal. [Die einsetzenden Plünderungen werden hier angesprochen.] Wir warten nun seit Samstag auf den Kampf in Fulda. Am Freitag war Hartmann und ich in Gersfeld. Benzin hingebracht. Unterwegs sind fünf Mariner mitgefahren, Süßwasserschiffer. Ich habe Ihnen meinen Tabak gegeben, denke, dass auch mein Ernst mal so eine gute Seele findet. Meinen guten, lieben Ernst, um den ich mir so Gedanken mache. Keine Nachricht von ihm, gar nichts. Und wer weiß, wann, wie und wo wir uns wiedersehen.
Ach Mensch, was ist das für eine furchtbare Zeit, ich glaube, wir werden noch viel erleben.

2.23 Montag, 02. April 1945 – Zweiter Osterfeiertag

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Heute Morgen ist Fulda gefallen. Zwei Tage und zwei Nächte haben wir im Keller gesessen in der Wollgarn [Textilfabrik Hinter den Löhern], und draußen in der Umgegend tobte der Kampf. Vor zwei Stunden waren die ersten Amerikaner hier und haben die Häuser nach Soldaten durchsucht. Ich habe ja so eine Angst um meinen Ernst. Du lieber Herrgott, lass ihm nichts passieren, meinem blauen Jungen. Ich kann ihn nicht schreiben, ihm keine Nachricht geben, so vertraue ich mich denn dir, mein Tagebuch an. Denn es ist mir so furchtbar schwer, das Ganze. Wie soll das nur alles weitergehen? Wenn doch nur endlich Friede wäre. Friede. Da würde ich meinen Ernst heiraten, und wären glücklich und zufrieden. So haben wir nun schon 5 1/2 schwere Kriegsjahre durchgemacht, und was wird es noch alles geben? Sicher noch viel Not! Lieber Gott, noch einmal bitte ich dich recht innig, lass mich meinen Liebsten wiedersehen! Den zweiten Osterfeiertag werde ich im Leben nie vergessen können – niemals!!!

2.24 Mittwoch, 11. April 1945

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Seit langer Zeit komme ich wieder zum Schreiben. In der Zwischenzeit hat der Amerikaner seinen Einzug gehalten, ist in Fulda. Es ging in den ersten Tagen drunter und drüber, alle Heeres-Vorratslager sind ausgeplündert worden, die Ausländer sind ganz toll gewesen, die Russen, Polen, Franzosen und Italiener. Allmählich gibt es wieder Ruhe in Fulda. Montag sollen wir eine Besatzung bekommen. Hoffentlich sind das keine Neger. Ach Gott, für was haben wir die 5 1/2 Jahre gearbeitet und gekämpft, für den verlorenen Krieg’. Wir haben wenigstens keine Luftangriffe mehr, es ist furchtbar, wenn die angloamerikanischen Bomber pausenlos drüber brummen. Ganz schlimm – die armen Menschen. Es ist schrecklich, wenn die drüben doch nur Schluss machen würden. – Es ist zum Lachen, wenn der Rundfunk jetzt noch von Siegen spricht. Ich mache mir so furchtbare Gedanken um den Ernst! Wo mag er nur sein – wie wird das gehen? Meine Gedanken sind immer, immer bei ihm, immerzu. Ich bleib meinem Jungen gut, und sein Bild ist nur in meinem Herzen’. – Courths-Mahler! [Hedwig Courths-Mahler schrieb 208 sehr gefühlvolle Romane.]
Hartmann und ich waren heute oben in der Wohnung, haben die Decke verschmiert, war das eine Arbeit! Mein Gott, aber es wird wieder werden, morgen wird geweißt. Und dann tapeziert. Ich denke, dass wir nächste Woche wieder oben sind. In den letzten Tagen ist so rechtes Frühlingswetter, da macht einem das Arbeiten Spaß. Vorgestern haben die Ausländer unseren Keller ausgeplündert und mein Rad geklaut. Ich weiß nicht, was unser noch ist nach dem Krieg? Ob wir wohl unser Zeug behalten können, was wir noch haben? Von Ottmar habe ich nichts mehr gehört, er war zuletzt in Wetzlar. Wo er heute steckt, weiß ich nicht.

2.25 Donnerstag, 12. April 1945

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Ich bin vielleicht heute Abend zum letzten Mal in Hartmanns! Morgen Abend werde ich wieder zu Haus schlafen, ein Glück. War den ganzen Tag oben im Haus und habe Gott sei Dank die kleine Stube fertig gemacht. Es hat arg wüst ausgesehen oben, aber es ist fertig geworden.
Breitbachs haben gestern und heute den Garten gesäubert, es wird jetzt auch höchste Zeit für die Frühjahrsaussaat. Frau Breitbach hat heute Abend schon im Garten gearbeitet. [Breitbachs betrieben in der Kurfürstenstraße 32 eine Schuhmacher- und Orthopädiewerkstatt.] Was wird wohl morgen kommen? Heute war es schön – oben, morgen geht es wieder weiter. Mal sind wir ja auch wieder oben. Ich mache mir Sorgen um den Ernst, große, große Sorgen!!! Hier ist so ein besoffener Berliner. Mein Gott, wenn Männer betrunken sind, sind sie doch doof, oh Jesus, ich kann euch nur sagen, saudoof!!! Da geben die Kerle an, und wie, vergessen ganz wer sie sind. Wie kann man nur!!!

2.26 Freitag, 13. April 1945

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Zum ersten Mal in der neuen Wohnung geschlafen, mit dem Muttilein.

2.27 Samstag, 14. April 1945

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Endlich ist hier alles soweit, und man kann sich mal gemütlich hinsetzen. Ach, du mein liebes Tagebuch, wie muss ich mir Gedanken machen um meinen Lieben draußen. Wo ist Ernst, Ottmar, Hermann [ein weiterer Soldat]? Wie geht es dem Lieselein? [Bei Liesel handelt es sich wahrscheinlich um eine Freundin. Sie wohnte vor der Ausbombung mit im Haus Kurfürstenstraße 28 und danach wohl in Schlitz.] Nach Schlitz wollen Mutti und ich nächste Woche laufen. Ich habe so viel an Liesl gedacht heute, direkt [unleserlich], und wie mag es Hermann gehen? Er war zuletzt in der Berliner Gegend!
Ernst, mein Liebster ich bleibe dir gut, sei du mir nur treu. Wenn wir beide nur zusammenkommen. Den Ring trage ich immer, immer. Das Zeichen meiner Treue, die ich dir halte, du blauer Junge. Es ist jetzt 9.40 Uhr abends. An der Bahn hört man das Summen von Motoren, welche der Amerikaner laufen lässt. Alarm gibt es keinen mehr, ein Segen – alle Menschen atmen auf. In kurzer Zeit gehe ich zu Bett und werde von dir,  mein Junge träumen, und in Gedanken schicke ich dir jetzt einen lieben langen Kuss. –

2.28 Sonntag, 15. April 1945

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Sonntag, war sehr ruhig, bald langweilig. Habe heute eine gräuliche Unruh gehabt, es war ganz schlimm. Wenn nur dem Ernst nichts passiert! Lieber Gott, mach es, beschütz ihn, meinen Jungen. Ich bin froh, dass ich meine Religion habe und meine Sorgen dem Herrgott anvertrauen kann. Man hat einen festen Halt an Gott! – Morgen wollen wir zur Liesl gehen, ich werde dann wohl in dem Punkt beruhigt sein.

2.29 Samstag, 28. April 1945

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Fast zwei Wochen liegen zwischen dem ersten Besuch Liesls und heute. Der Weg, den Mutti und ich zu Fuß gelaufen sind, war schon was, heißt 40 km, war so weit ganz angenehm. Dort angekommen, eine große Überraschung, der Ami war im Bahnhof. [Unerwähnt bleibt leider, wie die beiden Frauen nach Schlitz kamen. Das Verlassen des Wohnortes war für Deutsche nur mit besonderer Genehmigung der Besatzungsmacht erlaubt.] Ich hatte große Sorgen um meine Kleider, aber einen großen Teil haben wir wieder bekommen. Mir fehlt bis jetzt noch mein Taftkleid und die gelbe Seidenbluse, die handgewebt. Meinen Badeanzug habe ich bekommen, nachdem ich das zweitemal bei Liesel war, und zwar mit dem Rad, das ich bei dem Faulstich geborgt habe. Bin gut hin und wieder heimgekommen.
Am Montag, dem 22. April habe ich mir ein neues Rad geholt an der Polizei. Oh je, ein Biest von einem Rad .
Am Dienstag, dem 23. April ist Oma gekommen, hat den Arm gebrochen, die Arme.

2.30 Samstag, 28. April 1945

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War den ganzen Tag am Rad beschäftigt. Ist das eine gräuliche Arbeit. Ich denke so oft an dich, Ernstl. Mein Liebster, wenn ich dir doch nur schreiben könnte! Dass ich wüsste, ob du noch lebst, oder wie es dir geht! Ich will und will an ein gutes Geschick und den Schutz Gottes glauben. Ernstl, komm mir wieder. Mein liebes, liebes Ernstl, dein Mädel, dass wartet auf dich.

2.31 Sonntag, 29. April 1945

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Heute habe ich wieder Frau Herrmann gesehen – eine so arme, leidgeprüfte Frau. Amtmann Hermann ist noch am Palmsonntag, dem letzten Angriffstag den Bomben zum Opfer gefallen. War ein guter Vorgesetzter.
Ob ich wohl wieder mal einen Wagen fahren kann, ich bin förmlich krank danach – wieder mal Benzin zu riechen – und auf Strecke zu gehen. – O lieber Gott, lass mich wieder zu den Kraftfahrern kommen. Ich habe solche große Angst um den Hermann. Der ist bei Berlin – wenn ihm doch nur und mir nichts passiert. O Herrgott, beschütz mir meine beiden, den Ernstl und den Hermann. Mit dem Muttilein ist wieder gut auskommen, ist wieder in Ordnung.

2.32 Freitag, 04. Mai 1945

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Abends 10.30 Uhr
Eben hat das Radio durchgegeben, dass alle deutschen Streitkräfte kapituliert haben [Teilkapitulation in den Niederlanden, Nordwestdeutschland, Dänemark und Norwegen]. Wo wird denn mein Ernstl sein – ist der vielleicht schon tot? Ach Herrgott, lass es nicht zu, nimm mir meinen Jungen nicht, lass ihn nur wiederkommen. Man soll ja nicht aufbegehren, aber ich glaube auch, dass ich schon genug verloren habe in dem Krieg: Meine schöne, gemütliche Wohnung bei Mutti, mein Lieselein, unser Zusammenleben, den Glauben – alles Gute und Schöne ist dahin. Wohl will ich froh und dankbar sein, dass ich mein Muttilein noch habe, und gesund bin, aber trotzdem möchte man manchmal aufbegehren, nicht mehr mitmachen. Gestern war ich bei Liesl, habe die übriggebliebenen Sachen geholt. Ist auch noch allerhand. Heute hat mir Tante Hermine oder vielmehr Richard ein Pfundsangebot gemacht – Kraftfahrer zu werden bei der Bäckerei Genossenschaft. [Hier werden Hermine und ihr Mann Richard Herwegh angesprochen, die eine Bäckerei in der Kapuzinerstraße führten.] Schön wäre es ja wieder zu fahren wieder Benzin zu riechen und Gas zu geben. Falls es wirklich klappen würde, wäre ich sehr, sehr froh.
Radio Luxemburg gab durch, dass wieder so sehr viel Schiffe versenkt wären wenn nun mein Ernst dabei wäre? Aber er darf nicht tot sein, er muss wieder zurückkommen, ich hoffe und hoffe immer noch, muss ja. Mein Liebster, wenn du wüsstest von meinen Sorgen und Gedanken um dich, wie sehr ich dich lieb habe. Heute hat mir Hartmann erzählt, das Erdmann, ‚der Holzvergaser’ wieder da ist, der alte, fiese Kerl, der Lumpazi. Ich kann den Kerl nicht leiden, ist ein fieser Mops und sture Krummschnute. Was machen die Leute an der Bahn – nichts, und Geld gibt es auch keines. – Und nun einen lieben Gruß in die Ferne an alle meine Lieben, besonders an dich Ernst. Es küsst dich in Gedanken dein Mädel.

2.33 Sonntag, 06. Mai 1945

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Wieder ein Sonntagabend – es ist heute ein Regentag gewesen – wie schon die ganze Woche.
Habe mir eine Antenne gebaut, der kleine Radio spielt dazu ganz prima.
Kann mit ihm fast alle Sender kriegen. Eben habe ich Sender Hamburg. Deutsche Soldaten strecken überall die Waffen, überall im Deutschen Reich. Olmütz ist in russischer Hand, wie geht es wohl Ottmar? Ob er noch lebt? Wenn er doch nur wieder kommt. Ich bin so unglücklich, so furchtbar unglücklich. Wo mag denn nur mein Ernst sein? Dönitz hat einen Befehl gegeben, dass alle deutschen Schiffseinheiten die Waffen zu strecken haben. Ob mein Ernst in Dänemark war, oder in Kiel, oder in Norwegen? Wenn er nur, nur wiederkommt.
Gestern habe ich zum zweiten Mal in meinem Leben einen Handkuss bekommen von P. Der erste war von einem unserer Eisenbahner vom Wasserbau-Zugführer.
Der Stabsleiter Bohrmann ist in Berlin umgekommen.“ [Martin Bormann fungierte zum Kriegsende als Leiter der NSDAP-Parteikanzlei und Sekretär des Führers. Er wurde wegen seiner Hitler-Nähe zu einem der mächtigsten Männer. Nach dem Tod Hitlers starb er durch Selbstmord.]